Von Binarität und Ausbruch

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00:00:29: Eliane Gerber Herzlich willkommen bei Design macht Gesellschaft, dem Designforschungspodcast des Institute of Design Research an der Hochschule der Künste Bern. Ich bin Eliane Gerber.

00:00:40: Arno Görgen Und ich bin Arno Görgen. In unserem Themenschwerpunkt „Ethik des Designs"geht es in dieser Staffel immer um Grundsätzliches, um Grundkonstellationen der Gesellschaft und wie wir uns als Designer: innen und Designforscher: innen sowohl in diesen Konstellationen bewegen, diese aber auch reflektieren und dieses Nachdenken darüber in eine nachhaltige Forschung, Lehre und Praxis einfließen lassen. Und eine dieser, ich nenne es mal anthropologischen Konstanten, ist auch das Problemfeld der genderbezogenen Fragen. Und wir freuen uns sehr heute als Gast jemand begrüßen zu dürfen, die geradezu als Expertin auf diesem Feld gelten darf.

00:01:20: Eliane Gerber Uns zugeschaltet sitzt gerade Professor Uta Brandes, mittlerweile emeritierte Professorin für Gender und Design und für Designforschung an der Köln International School of Design, eine wohl bis heute, zumindest im deutschsprachigen Raum, einmalige Professur. Es ist quasi unmöglich, ihre lange akademische Karriere hier im Detail aufzuführen. Wir möchten aber anmerken, weil wir ja einen Designforschungspodcast sind, dass Uta Brandes Gründungsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und Forschung war. 2013 hat sie das Internationale Gender Design Network gegründet und unter anderem auch den Begriff des Nonintentional Design mitgeprägt. Herzlich willkommen, Frau Brandes.

00:02:03: Uta Brandes Ich danke Ihnen sehr für diese freundliche Einleitung. Ich freue mich auch sehr, bei Ihnen zu sein und bin gespannt aufs Gespräch.

00:02:10: Arno Görgen Wir auch, Frau Brandes. Vielleicht erst mal von Ihrer Biografie ausgehend: Wie stand es denn in den 70er-und 80er-Jahren um das Thema Gender in den, ich sage mal, deutschsprachigen Designhochschulen? Und wie sind Sie letztlich selbst in diesem Feld, in diesen Bereich gelandet?

00:02:30: Uta Brandes Also erstens war Gender noch kein Begriff in Deutschland, sondern man sprach von Männern und Frauen. Und im Design gab es so was überhaupt nicht, dass man über Genderproblematiken oder Unterschiede oder andere Zugangsweisen gesprochen hätte. In anderen Wissenschaften gab es das sehr wohl, klarerweise. Da nahm es gerade Fahrt auf, würde ich sagen, in den 1970er-Jahren. Also von Soziologie eher erst mal die Geistes- und Kulturwissenschaften. Aber da war das schon ein klares Thema, im Design überhaupt nicht. Ich habe von damals noch so dann die Anekdote, als ich dann schließlich das lehrte, dass mir diese altgedienten, meistens männliche, Designer, berühmte von Dieter Rams bis sonstwohin, gesagt haben: „Im Design hat das doch mit Geschlecht überhaupt nichts zu tun. Da geht es doch Funktionalität, und um aesthetical pleasing, gut gemacht und Material und so was." Und das war dann ganz gut, dass ich da sagen konnte: „Oh nein, Geschlecht spielt eine Rolle."

00:03:42: Eliane Gerber Das bringt mich gerade zu unserer nächsten Frage: Was haben denn Gender und Design miteinander zu tun? Wie hängt das zusammen?

00:03:48: Uta Brandes Wir alle sind vergeschlechtlichte Menschen, unabhängig erst mal davon, wie und welche sexuellen Präferenzen, aber das heißt, wir sind ja nicht neutral. Deswegen benutze ich auch nie den Begriff „Genderneutral." Ich sage immer wenn "gendersensibel", weil wir alle vergeschlechtigt sind. Wir können nicht raus. Also vollkommen egal, wie. Und wir sind selbstverständlich gesellschaftlich aufgewachsen, das heißt in Beziehungen, in gesellschaftlichen, in familiären, in Freundeskreisen und so weiter. Und wir reagieren auf Objektwelten, auch erst mal egal, ob es physikalische sind, also handhabbare, die ich halten kann oder in denen ich mich bewegen kann, oder aber inzwischen digitale, immer auch mit diesen Vorprägungen, die wir erfahren haben. Und die sind in allen Gesellschaften, mal besser, mal schlechter, durch Geschlecht mitbestimmt. Es gibt einfach Verhaltensweisen, von denen immer noch eigentlich so heute etwas subtiler vielleicht erwartet wird, was eher männliches, eher weibliches Verhalten sein sollte, worauf Frauen eher reagieren, worauf Männer reagieren. Und das ist sehr stark auch tatsächlich bis heute in den Objektwelten so. Und das ist eine Mischung aus Stereotypisierungen gesellschaftlicher Art, also auch Gesellschaft selber das konstruiert, und dem, dass dann tatsächlich wir uns auch, zum Teil zumindest, entsprechend verhalten, weil wir es irgendwie gar nicht anders gewöhnt sind. Und das jetzt im Verhältnis zu den Objekten, wobei, wie gesagt, Objekt meine ich jetzt alles, auch immaterielle Objekte, spielt eine so große Rolle. Was wir mögen, was wir für sinnvoll halten, womit wir uns umgeben, aber auch auf der Seite der Designschaffenden: Was für Vorstellungen haben wir von den Artefakten, wie wir sie designen sollten? Und dazu muss man einfach die Kategorie Geschlecht als selbstverständlich mit einbeziehen.

00:05:50: Arno Görgen Wie ist denn zum Beispiel Gender in Designobjekten wahrnehmbar? Können Sie das vielleicht an so ein paar Beispielen verdeutlichen?

00:05:59: Uta Brandes Also es gibt klarerweise die sehr offensichtlichen und zum Teil etwas platten Beispiele, die es aber bis heute gibt. Das kann man insbesondere im Marketing und in der Werbung sehen, wie bestimmte Produkte beworben werden, die plötzlich immer noch geteilt nach Männern und Frauen beworben werden. Man kann das in dem ganzen Hygiene-und Kosmetikbereich immer noch deutlich sehen in einem Drogeriemarkt, dass eigentlich die sogenannt männliche Ecke ist dunkelblau, metallisch-schwarz, und auch zur Verpackung zum Beispiel – und die der Frauen ist Pastellfarben. Und die Lady Shavers, also die Rasierer für Frauen, heißen auch Venus, haben solche tollen Namen. Und die für Männer heißen Mach drei. Also was das mit Strömungsgeschwindigkeiten ein Rasierer zu tun haben soll, weiß ich bis heute nicht. Das sind die sehr platten, vordergründigen Dinge, wo es uns sofort auffällt. Und da gibt es ja auch schon einige Unternehmen oder einige Werbeagenturen, die versuchen, das ein wenig aufzulösen. Es gibt aber subtilere Hinweise natürlich. Ich kann es einfach immer noch feststellen für Küchengeräte, also für elektrische Küchengeräte. Die sind häufig, das muss man einfach sagen, bis heute noch sehr häufig von Designern konzipiert und gestaltet. Und das ist jetzt eine etwas schräge Hypothese von mir, aber ich habe manchmal das Gefühl, die würden lieber Turboautos gestalten, sind aber jetzt leider in der Küchenproduktion beschäftigt und machen manchmal wirklich Dinge, Entsafter und so. Die bestehen aus 14 Teilen, die sind irrelaut, eben, als ob man so Wum Wum mit einem Auto macht. Die sind unpraktisch zu waschen und so weiter. Da kommt es eben also nicht selbstverständlich, kommt es nicht nur auf die Form an, ob etwas rund oder eckig ist, sondern auf Praktikabilitäten. Und da man offenbar, als man immer noch nicht so heimisch ist, jedenfalls als männlicher Designer in der Küche, sind da zum Beispiel sehr schlechte Geräte dabei. Interessanterweise, es gibt auch so was wie Stühle, nehmen wir mal Bürostühle. Ich habe mal eine ganz schöne Studie mit einem hochpreisigen Büromöbelhersteller gemacht und wir haben als erstes festgestellt, dass eigentlich im Durchschnitt männliche und weibliche Hinterteile des Sitzens unterschiedlich gebaut sind. Also das tatsächlich biologisch und dass man alleine deswegen schon unterschiedliche Bürostühle anbieten müsste. Und dann haben die sogar gesagt: „Ja, das wissen wir, aber das wird zu teuer." Das heißt also, selbst da, wo ein Wissen da ist und wo man etwas tun könnte, wird das nicht gemacht. Es gibt ja die berühmte Studie jetzt, die Invisible, die unsichtbaren Frauen, wo die mit Crash, mit Autodummies angefangen haben und das waren immer männliche. Dann hat das irgendwer gesagt, dann haben sie gesagt: „Ach ja, stimmt." Dann haben sie kleinere Dummies gemacht. Das sollten dann die Frauen sein. Die waren aber immer noch genauso vorne ganz platt und so weiter. Und das hat sehr lange gedauert überhaupt zu erkennen, dass es, wenn man das nicht beachtet, in dem Fall wirklich lebensrettend oder gefährdend sein kann, dass einfach Frauen dann andere Verletzungen haben, die aber nicht berücksichtigt werden in dem ganzen Sicherheitskonzept und so. Das heißt also, es geht bis in sehr ernsthafte Sachen hinein, plus dieses Ganze, diese Farb-und Form-Geschichten, pastellig und so weiter. Aber es gibt, da ich ja so einen Gender-Blick, nenne ich den jetzt mal, gestaltungsmäßig mir aufgebaut habe … Also ich kann auch gar nicht mehr anders. Ich sehe schon sehr viel im Alltag subtile Sachen oder die einfach komisch funktionieren oder die so techy daherkommen und es nicht sein müssten. Und das ist dann eher etwas, was von Designern gestaltet wurde.

00:10:01: Arno Görgen Würden Sie denn sagen, dass es auch in Form einer Gegenbewegung so etwas wie eine Hinwendung zum gendersensiblen Design, vielleicht auch sogar Modebewegungen gibt zurzeit?

00:10:14: Uta Brandes Es ist ein Thema, was diskutiert wird, endlich. Es hat ja auch lange genug dauert. Und es gibt eben tatsächlich Unternehmen, die versuchen, eine Gestaltung und Funktionen der Objekte, das hängt ja zusammen, und Funktion so herzustellen, zu schaffen, dass sie wirklich sehr offen sind. Ich nenne das – ich weiß, es ist leichter gesagt als getan – eine offene oder eine fluide Gestaltung. Ich nenne das immer so eine flüssige Gestaltung. Und das wäre mein Ideal – das wäre jetzt schon fast mein Schluss, fällt mir ein, den ich gleich zu Anfang sage –, ein Design, egal, um welche Artefakte es sich handelt, das so offen gestaltet wäre, dass alle es sich dann noch individualisieren könnten und an ihre jeweiligen Bedürfnisse, Interessen, was auch immer, anpassen könnten. Das ist natürlich, je komplexer ein Objekt ist, desto komplizierter wird es auch. Aber das wäre sozusagen das Ziel, dann wäre Gestaltung erreicht. Dann könnte ich auch in Ruhe zurücktreten und brauchte nichts mehr zu machen.

00:11:26: Arno Görgen Da ist vermutlich aber auch ein bisschen die Angst, also was Sie so schon angedeutet haben, das wird zu teuer, also dass auch da diese Normierung und diese Gestaltung für die großen Massenmärkte viel aufwendiger wird, als wenn man nur eine, ich sage mal, ich nenne es jetzt mal und vor allem maskuline, gelesene Konstante dann anbringt, oder?

00:11:49: Uta Brandes Aber das geht ja schon davon aus, dass sozusagen das gesetzte Artefakt das Männliche wäre.

00:11:55: Arno Görgen Ja.

00:11:56: Uta Brandes Das ist dann nicht so teuer und wenn man jetzt auch noch was für Frauen machen muss, dann wird es teurer. Das ist ja ein großer Irrtum. Man muss von Anfang an anders denken. Wenn ich sage, offen denken, dann muss ich auch in der Tat erst mal schon alles infrage stellen, was bisher an gestalteten Gegenständen, Objekten da war und völlig neu anfangen. Und dann wird es nämlich nicht teurer. Das sage ich jetzt schon mal.

00:12:19: Eliane Gerber Und da kommt dann auch verschiedene vielleicht Aspekte oder verschiedene Arten von Männlichkeit, von Weiblichkeit und von allem darüber hinaus auch mit rein. Wenn wir über diese Stereotypisierungen, das Verhalten und Erwartungen, gerade gesellschaftliche Erwartungen und Normen, die mit Geschlechtsrollen zu tun haben, sind die ja schon sehr eng gefasst. Oder auch, dass es eine Art gibt, Frau zu sein und eine Art gibt, Mann zu sein und jenseits davon gibt es gar nichts. Und wenn ich Sie richtig verstehe, würde es einerseits darum gehen oder Würde es darum gehen, die Objekte so zu gestalten, dass sie einen Umgang von eben sehr vielen verschiedenen Perspektiven aus oder verschiedenen Bedürfnissen aus erlauben und ermöglichen und auch vielleicht sogar fördern und dadurch auch erlauben und fördern, Geschlechtlichkeit auf vielleicht eine individuelle Art und Weise auch auszudrücken. Weil es ist ja nicht nur, einerseits fühle ich mich angesprochen, sondern auch, was drücke ich damit aus, dass ich zum Beispiel eine bestimmte Kleidung trage oder ein bestimmtes Objekt auf meinem Schreibtisch habe, oder?

00:13:38: Uta Brandes Das ist völlig richtig und inzwischen ist es ja längst klar, wir haben einfach nicht nur zwei Geschlechter, also biologisch, entweder Mann oder Frau und sonst gibt es nichts. Das wissen wir ja inzwischen erstens. Es gibt es ganz viel selbst körperlich dazwischen. Und dann auch, wie Menschen sich fühlen, wie sie sich darstellen wollen. Das ist einfach, Stichwort Diversität, sehr divers und das ist ja eigentlich auch wunderbar. Ich finde, es ist eine Bereicherung von Gesellschaft, wenn wir mehr als dieses Entweder-oder haben, immer diese normativen Sachen und das, genau wie Sie sagen, deswegen muss Gestaltung auch darauf eingehen. Und da man selbstverständlich nicht für jeden Menschen einzeln individuell etwas herstellen kann – das geht ja nun wirklich nicht –, muss es etwas sein, wie Sie sagen, was so offen ist was ich dann aber noch für mich anpassen kann, so wie es mir gut gefällt. Und da sage ich sogar immer, ich schimpfe ja sonst immer gegen dieses Barbie-und Pink-Zeug und so, aber wenn dann auch Menschen darunter werden, die rosa toll finden, wenn nämlich diese Farbe dann nicht mehr so konnotiert ist mit kitschiger Weiblichkeit, dann kann es auch rosa sein, dann kann es auch rund sein, weich sein und so weiter, wenn es eine Idee unter vielen ist. Und damit wäre erstens allen geholfen, es wäre sinnvoller. Und wie gesagt, diese These, „Das würde dann ja viel teurer werden, das beruht ja noch auf den binären Normen, dass man etwas für Männer und für Frauen machen müsste und das sei unterschiedlich und dann wird es teuer. Das stimmt ja auch. Das ist genau das Problem, was ja vorübergehend mal viele und teilweise bis heute Unternehmen gedacht haben, wenn sie über Gender überhaupt nachgedacht haben: „Ach so, dann muss man jetzt ja Jetzt machen wir Gendermarketing, jetzt machen wir das für Frauen und für Männer. Das eine wird eben rund, pastellig und so. Und das ist natürlich genau falsch, weil das verfestigt ja diese Stereotypen, die wir auflösen wollen. Und die auch Menschen, denen sie nicht mehr gerecht werden zu einem Teil, wollen sie das ja auch nicht mehr. Es gibt sehr unterschiedlich. Es gab eine Zeit lang so Beobachtungen in so Kosmetikabteilungen gemacht und dass dann, sagen wir mal, zum Beispiel junge Frauen bewusst eben nicht irgendein Maiglöckchenpapfen, so ein Süßliches haben wollten, sondern die sind dann in die Männerabteilung gegangen. Und umgekehrt gab es bestimmte Typen von Männern, die bei den Frauen nachgeguckt haben. Also daran sieht man ja schon, dass es auch da ein Bedürfnis gibt und es ist nur manchmal sehr schwer, erst mal diese immer noch ganz schön starren Normen zu durchbrechen.

00:16:21: Uta Brandes Und mein Credo ist ja sie zu verselbständlichen. Das heißt, dass es selbstverständlich wird

00:16:30: Eliane Gerber Dass es eine Selbstverständlichkeit gibt, dass Menschen ihr Geschlecht auf ihre Art und Weise auch ausdrücken und leben können. Vielleicht zwar, wenn ich das richtig verstehe, heißt das aber auch nicht, dass es darum geht, irgendwie die Farbe Pink loszulösen vom Attribut, vielleicht von der Weichheit oder jetzt Pink oder Rosa, was er in was weiches oder vielleicht auch einfühlsam oder so, dass nicht unbedingt die Attribute davon losgelöst sein sollen. Die verändern sich natürlich auch über die Zeit, gerade wenn wir uns über die Geschichte von von rosa und blau, die ja noch vor 200 Jahren sehr anders oder gerade auch umgekehrt attributiert wurde zu einem Gender. Und dass zwar die Assoziation damit sich über die Zeit verändern können, aber dass die Erwartung, dass voraussagbar ist, wenn ich einen bestimmten Menschen sehe, dass ich von der Person erwarten kann, dass die nur genau diese Objekte nutzen darf oder sich nur bestimmte Eigenschaften auch zu eigen machen darf.

00:17:52: Uta Brandes Eben genau darum geht es, das zu durchbrechen. Dass einfach mit der Selbstverständlichkeit meine ich eben, dass alle Menschen, egal wie sie sich definieren in ihren Geschlechtsidentitäten und auch sonst übrigens im Leben, dass sie einfach alles sich aneignen dürfen, so wie sie es wollen. Und dafür brauche ich dann eben nicht 100.000 Designs, sondern ein so kluges, das jeweils dann womöglich zu Hause bei den Menschen oder auf der Arbeit ein wenig anders aussieht, weil es die Möglichkeit gibt, dass ich es auf meine Bedürfnisse zuschneide. Oder aber man macht es so klug. Ich habe immer noch das Beispiel, obwohl es wirklich sehr alt ist und ich auch von Apple gar kein Geld bekomme dafür, aber als die ersten Apple-Computer die Büro-Schreibtische eroberten, diese hübschen Kleinen, die auch teilweise so lustig schon rund, ein bisschen flowerpower-mäßig aussahen, durchsichtlich und so. Also erst mal sahen die schon ganz anders aus als diese ersten Blackboxes, die man hatte. Und dann, das war natürlich so, dass gerade zu Anfang – ich habe das ja beobachtet – Frauen Angst hatten, die zu bedienen, weil sie Angst hatten: „Ich kenne das noch nicht, dann mache ich vielleicht was kaputt und dann kann man gar nicht mehr und so." Und da gibt es so … Also Apple hat ja wirklich diese Idee der Icons erfunden. Das heißt, statt dass ich jetzt … Jetzt muss ich nicht mehr 350 den Handbuch unbedingt durchlesen, sondern vieles erklärt sich durch diese visuelle Gestaltung. Und mein bestes Beispiel ist immer: Apple hat wirklich diesen Papierkorb zum Beispiel erfunden und auch diesen Ordner für Dokumente. Und ich meine, jeder Mensch, wirklich, zumindest in, vielleicht sagen wir, westlichen oder entwickelten Gesellschaften, weiß, dass man im Papierkorb keine wichtigen Sachen ausbewahrt, weil das nämlich Müll ist und der kommt irgendwann weg. Und das ist so einleuchtend und das ist unabhängig vom Geschlecht und das ist, egal ob jemand schon techy ist, der benutzt den Müllkorb genauso und sagt dann nicht: „Ich brauche den nicht, weil ich mich so gut auskenne", sondern es ist klar, das ist jetzt das Symbol, da schmeiße ich meine virtuellen Sachen rein, die nicht mehr haben will. Und das ist eine einfach tolle Gestaltung. Sie ist für alle gut, sie behindert niemanden, egal ob jemand technisch hochgerüstet ist oder noch fast keine Ahnung hat. Es ist einfach ideal und es funktioniert für alle.

00:20:16: Eliane Gerber Inwiefern sind … Sie haben jetzt auch ein Stück weit auch Diskriminierungsform angesprochen oder Diskriminierung, die eben dadurch entsteht, dass Weiblichkeit in unseren Gesellschaftsnormen eben von Technikfähigkeit eigentlich wie getrennt wird. Um der Erwartung von Weiblichkeit, von den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen, darf ich nicht technisch versiert sein als Frau und eben diese Trennung, die da stattfindet. Inwiefern ist diese Form von Diskriminierung denn auch durch Designprozesse strukturiert oder auch Designmethoden, wie zum Beispiel die Arbeit mit Personas oder die Marktforschung oder Partizipation von Nutzer: innen?

00:21:07: Uta Brandes Es ist auf jeden Fall die Idee vom Geschlecht, ob bewusst oder unbewusst, ist immer drin in diesen Prozessen. Das heißt, das kann man teilweise schon, wenn man Marktforschung betreibt, an der Art der Fragestellungen durchaus sehen, dass einfach entweder bestimmte Fragen gar nicht auftauchen, weil man die nicht als Problem erkannt hat, die aber vielleicht für bestimmte Geschlechter wichtig wären und für andere eben nicht so. Man kann es sehen in der Entwicklung von Artefakten, das ist immer noch und das gilt wirklich bis heute. Es ist so absurd, dass Bereiche, die man als zum Beispiel männlich erachtet hat von Anfang an, nehmen wir mal die Automobilindustrie, die ist ja in Deutschland auch, wenn auch auf dem absteigenden Ast, aber immer noch wichtig, dass sie finden kaum Designer:innen in den Bereichen, also in der Entwicklung von Automobilen. Hin und wieder gibt es mal eine und die ist dann aber, wofür ist die zuständig? Also ein Mensch, dieser Designer, designt ja nicht ein ganzes Auto, sondern das sind ja ganz viele komplexe und unterschiedliche Arbeitsprozesse. Wofür sind die Frauen zuständig? Was glauben Sie? Erstens für Innenraum und dann nur für das Textile. Das heißt, die Bezüge der Sitze und der sogenannte Himmel, der Auto-Himmel von innen, weil man da den Frauen nach sagt, die haben so ein Gespür für Farben, für Materialien, das können die gut. Ich glaube, es hat noch nie eine Frau eine Felge gestaltet, so, um das mal zu sagen. Also selbst innerhalb der, wo es Frauen gibt, werden sie auch noch mal diskriminiert, indem ihnen dann wieder sozusagen eher hausarbeitsnahe Tätigkeiten zugeeignet werden. Man denkt, Frauen kennen sich immer gut aus mit Deko, also mit Stoffen und so. Auch eine Sache, die ich versucht habe zu untersuchen: Die Begriffe „Funktionalität" und dagegen „Deko, Dekoration", werden auch absolut geschlechtlich zugeordnet.

00:23:02: Eliane Gerber Mit den Begriffen Design und Handwerk geht es oder Handarbeit, die so ein bisschen … Handarbeit, ja.

00:23:11: Uta Brandes Genau. Und alles, was, sagen wir mal, historisch Frauen zugemutet wurde oder worauf sie beschränkt wurden, das gilt dann als Deko. Das ist so ein bisschen Dekoration des Hauses, gerne des Innenraums. Das können dann Frauen viel besser als Männer, aber das Haus bauen, es mal platt zu machen, machen dann die Männer. Wie gesagt, es gibt inzwischen einige Durchlässigkeiten, aber es ist noch längst nicht in der Gestaltung, auch jetzt insbesondere, auf dem Niveau, dass es entweder egal wäre, wer etwas macht. Es ist nämlich nicht egal, weil immer noch mit den Vorprägungen die Designer: innen gestalten oder weil sie gar nicht rankommen an bestimmte Jobs.Oder andere nehmen überhand für das jeweils eine oder andere angeblich biologische Geschlecht. Das heißt, da gibt es auch echt immer ganz viel zu tun.

00:24:09: Arno Görgen Gilt das auch umgekehrt? Ich überlege gerade, es gibt ja dann Ich nenne das jetzt mal so, auch wenn das eben nicht mehr zeitgemäß ist, Frauendomänen im Design. Haben da umgekehrt Männer ähnliche Schwierigkeiten oder ist auch da sozusagen das Hierarchiegefälle so stark, dass die dann, dass männliche Designer dann es vielleicht sogar eher leicht haben, in so einem Feld einen gewissen Status zu erreichen?

00:24:44: Uta Brandes Nein, es gibt diese Bereiche, aber das Problem ist, dass die Machtverhältnisse beziehungsweise die angebliche gesellschaftliche Relevanz ist a priori pro Segment oder pro Bereich unterschiedlich gewichtet Das heißt, bleiben wir bei dem Beispiel, mit Textildingen zu arbeiten, also im Haus, Interior Design zum Beispiel. Da finden sich ja wirklich 95% Frauen, auch Studentinnen immer noch. Und wenn da Männer reinkommen, erst dann werden sie quasi in ihrem männlichen Geschlecht in gewisser Weise ein bisschen abgewertet, weil die in so einen Bereich gehen, der so dekomäßig ist. Es gibt sehr viel, ich habe das in Projekten erlebt an der Hochschule, also gemischte Gruppen. Man macht ein Projekt, wo auch solche Sachen, also wo man so kleine Dinge herstellen oder arrangieren musste. Und wenn da Männer drin waren, da waren drin, dann wurde eigentlich eher gedacht, das sind sicher schwule Männer, weil die haben dann mehr so was Weibliches. Also es gibt auch da sofort Zuordnungen und das Problem ist, sagen wir mal, die großen, sehr stark mit Technik assoziierten Bereiche gelten gesellschaftlich immer noch als wichtiger, als bestimmte sogenannte kleinere Bereiche und die dann wieder der Weiblichkeit zugeordnet werden.

00:26:07: Eliane Gerber Wir haben jetzt so ein bisschen die Ausgangslage auch skizziert und die ersten wichtigen Begriffe geklärt, denke ich. Ich würde gerne in diesem Zusammenhang auf unseren Staffelschwerpunkt, die Designethik, ein bisschen zu sprechen kommen. Welche ethischen Fragen und Herausforderungen ergeben Sie sich jetzt aus dieser Situation, die wir beschrieben haben, vielleicht spezifisch für Designer: innen, aber auch für Leute, die Design nutzen?

00:26:35: Uta Brandes Auf jeden Fall weiterhin erst mal die Auflösung dieser Binaritäten, die wir haben, die auch, wir haben schon erwähnt, zum Teil mit Diskriminierung zu tun haben, dass man Frauen weniger oder nur so kleines Zeug zutraut und die Männer machen dann die wirklich großen Entwürfe. Das heißt, dass wir da auf eine, sowohl quantitativ, aber insbesondere natürlich auch qualitativ, eine Gleichwertigkeit kommen. Ich finde das ganz schön. Ich habe gerade ein Heft einer Designforschungszeitschrift, Designabilities heißt die, Designabilities. Das gibt der Tom Bieling unter anderem mit raus. Da haben wir einen Band, den er mir aber übertragen hat, zusammengestellt mit dem schlichten Wort Equity. Also der ist auf Englisch deswegen. Und da habe ich noch mal nachgedacht. Das ist ja ganz schön. Früher hieß es auch immer im Englischen Equal Opportunities. Das ist auch ein bisschen Altmuschwort, aber als man sagte, die Gleichstellung von Frau und Mann, die Frauen sollen gleichgestellt werden mit den Männern so rum. Und Equality, also im Englischen hat man die Differenzierung viel besser. Equality wäre, ich sage mal ein Beispiel: Es gibt drei Kinder, die sehr unterschiedlich groß sind und die über eine Mauer und die wollen, was weiß ich, ein Fußballspiel angucken und dann schaffen die es nicht, weil sie zu klein sind. Und dann bringt jemand für alle drei je eine Leiter. Und dann steigen sie da rauf. Die Leiter ist aber so, dass der Größte jetzt oder die Größte ganz leicht drübergucken kann. Die mittlere Person, also von der Körpergröße her, kann noch gerade mit der Nasenspitze und die Kleinste schafft es wieder nicht. Das wäre Equality, also die Gleichheit. Die Gleichwertigkeit wäre Equity und das hieße: Ich muss die Leiter anpassen an die Person. Das heißt also, der oder die ganz Große braucht deutlich kleinere Leiter als die Kleinste. Und Equity wäre das Ziel zu erreichen und dann wäre es ethisch einfach auch wirklich gut, weil es dann nichts mehr zu kritisieren gebe, zumindest was Geschlecht betrifft.

00:28:49: Eliane Gerber Also vielleicht die ethische Herausforderung dann für Designer: innen immer auch zu schauen, wen schließe ich denn damit aus? Und durch das, dass ich Leute ausschließe, gestalte ich gesellschaftliche Hierarchien und Diskriminierung einfach auch mit und reproduziere die oder kann sie eben vielleicht unter Umständen auch verändern.

00:29:12: Uta Brandes Inklusion und Exklusion wären eben ethisch auch im Bereich der Gestaltung ganz wichtige Begriffe. Also erst mal sowohl human, also wen integriere ich oder schließe ich aus, sowohl in der Gestaltung als auch im Konsum später, also in dem Verzehr sozusagen das gestalteten. Und wen lasse ich rein? Alleine wenn man das schon so fragt, ist es ja schon eine Exklusion. Und Inklusion wäre, dass ich erst mal schaue, ich lasse potenziell alle rein. Das ist doch auch inzwischen – denke ich – immer erwiesen, dass gemischte Teams, die gestalten, also wo sehr unterschiedliche Leute drin sind mit unterschiedlichen Kompetenzen, unterschiedlichen Geschlechtern, unterschiedlichen Vorstellungen über die Welt, da kommen normalerweise, dauert vielleicht manchmal in der Diskussion zu Anfang ein bisschen länger – die viel besseren Produkte raus. Also als wenn ich da jetzt zwei Männer, aber auch, ich würde langfristig sagen sogar, ich würde auch nicht dann nur zwei Frauen daran besetzen. Wobei die Frauen, könnte sein, dass die empathischer drauf reagieren, aber das will ich jetzt vielleicht ethisch mal nicht so sehr ausspielen. Also die Mischungen sind einfach das Wichtigste und damit, das bedeutet auch Inklusion in jeder Begrifflichkeit körperlicher Inklusion natürlich.

00:30:34: Eliane Gerber Wir haben jetzt eben von der Männlichkeit und von der Weiblichkeit oft auch gesprochen. Wie interagiert und überlagert sich Gender denn mit anderen Aspekten wie ökonomischer Status, Race, Bildungsstand et cetera. Auch diese Kategorien strukturieren ja den Markt und die Gesellschaft, in denen Designprodukte stattfinden, mit, oder? Wie überlagert sich das oder wie kommt das auch zusammen?

00:30:55: Uta Brandes Es kommt … Gender ist, ich denke, immer ein sehr, sehr wichtiger Aspekt der sozusagen für mich, Gender comes first, aber selbstverständlich, Stichwort Intersektionalität, dass Gender nicht das Einzige und Alleinige ist, das einen Menschen ausmacht oder wie Gesellschaft Menschen begegnet, sondern da kommen genau, was Sie gesagt haben, da kommen ethnische Sachen, Status, Klasse, Ökonomie und so weiter mit hinein. Das Problem ist manchmal, wenn ich das sagen darf, und da gibt es gewisse Streitigkeiten hin und wieder, auch unter den feministischen Designer: innen. Und übrigens meine ich, leider ist das auch ein bisschen eine Generationenfrage. Die Jüngeren, die sofort … Also mir ist das zum Glück ehrlich gesagt noch nicht so passiert, aber es gibt es natürlich und ich kenne es aus anderen Wissenschaftsbereichen sehr scharf. Wenn ich jetzt eine Forschung mache, wo Gender im Mittelpunkt der Fokus ist, dann wird potenziell mir sofort vorgeworfen: „Du hast ja überhaupt nicht die ganze Welt, du hast keine People of Color drin, du hast keine Menschen mit besonderen Herausforderungen drin und so." Ja, das mag sein, nur gleichzeitig, wenn ich alles auf einmal seriös erforschen oder dann später auch in Gestaltung umsetzen will, dann bin ich manchmal überfordert. Ich mache immer so plumpe Beispiele, das liegt mir darin ganz gut. Es muss möglich sein – das ist jetzt nicht so eine interessante Forschung –, dass jemand über eine Tasse irgendwas erforscht. Ich finde es jetzt nicht das spannendste Thema, aber ich sage es nur. Wenn dann aber jemand kommt und sagt: „Ja, aber diese Tasse steht ja auf einem bestimmten Tisch, in einem bestimmten Environment in meinem Privat, öffentlich in den USA oder in Paraguay, und sie wird von unterschiedlichen Menschen benutzt." Das würde mich dann wieder interessieren. Dann kann ich eigentlich gar nicht mehr forschen, weil dann das Forschungsgebiet gleich so groß ist, Da müsste ich aber auch mindestens 100 Menschen haben, die daran forschen auf einmal.

00:33:04: Eliane Gerber Absolut. Und trotzdem ist es ja wichtig zu sagen, wenn ich jetzt die Tasse bei mir einer weißen Frau in der Schweiz anschaue dann kann ich oder auch ich als weiße Frau die Tasse anschaue und beforsche, ist das, was ich darüber herausfinden kann, halt auch durch meine Perspektive und den Ort, wo ich das untersuche, geprägt und die Verallgemeinbarkeit der Aussagen nur bis zu einem gewissen Grad gewährleistet, was aber nicht heißt, dass es nicht okay ist, genau den Teil zu beforschen, oder?

00:33:41: Uta Brandes Es ist völlig richtig. Es ist einfach wichtig, dass immer die Bedingungen vorab der Forschung geklärt sind und ich die auch sage, also sozusagen mitteile, in welchem Kontext, unter welchen Perspektiven, mit welchen Beschränkungen ich diese Forschung mache. Das ist völlig richtig. Und selbstverständlich, vielleicht gibt es ja auch Gesellschaften, die immer eine tribale Kultur und die kennen gar keine Tassen. Und selbstverständlich wird eine Tasse dort sehr anders wahrgenommen werden, vielleicht auch für andere Zwecke als bei uns. Das ist klar, das muss immer vorweg mit Bedacht und auch kommuniziert werden.

00:34:18: Eliane Gerber Und ich denke, ich würde da gerne noch eine Lanze brechen für vielleicht meine Generation. Ich kenne das so ein bisschen auch aus dem Rassismusdiskurs, wo eben auch gesagt wird, dass Weiblichkeit eben auch eine Komponente von Rassifizierung hat, also dass eine weiße Weiblichkeit einfach auch mit anderen Normen verbunden ist, als zum Beispiel eine schwarze Weiblichkeit. Und ich glaube, da die eigene Forschungsperspektive zu reflektieren und zu überlegen: „Worüber kann ich denn wirklich was aussagen und über welche Art von Weiblichkeit spreche ich?" Ich glaube, das ist ganz wichtig dabei.

00:35:00: Arno Görgen Da würde ich jetzt mal anhaken und ganz frech fragen: Was bedeutet das denn für die Lehre? Müssen wir eigentlich unsere Student: innen überfordern und ihnen eigentlich ein gesellschaftswissenschaftliches Nebenstudium zur Hand geben, damit Sie wissen, für wen Sie produzieren beziehungsweise entwerfen?

00:35:23: Uta Brandes Also sagen wir mal, gewisse soziologische und psychologische Sachen sind im ja immer mit drin. Also in der Überlegung: Was produziere ich für wen und warum und so weiter? Da kann ich nicht nur strikt im Design bleiben und auch gerade, wenn wir über Designforschung reden, da sind ja deutlich, wenn es Methoden geht, wie man etwas erforscht. Das ist ja nicht alles im Design erfunden worden, sondern häufig in der Soziologie zum Beispiel. Das heißt, das muss mit rein, das stimmt. Insofern ist es anspruchsvoll, also für Designer: innen und Studierende, darin, das zu machen Aber ich glaube, das Wichtige ist, ich werde auch oft mit dem Argument dann konfrontiert: „Ja, jetzt müssen die immer noch mehr. Wie sollen sie das denn alles schaffen?" Ich glaube, es kommt drauf an, wie man etwas lehrt. Das heißt, ich muss versuchen, den Studierenden – und übrigens dann auch manchmal noch praktizieren einen professionellen Design-Lehrer: innen – beibringen, einen Blick zu entwickeln, einen Kontext zu verstehen. Und da muss ich nicht jede einzelne Situation oder jedes einzelne Produkt, dafür mit denen durchgehen, was ist dafür geeignet, sondern ich muss ihnen ein Wissen vermitteln und eine Empathie auch, die sie dann speziell anwenden können auf ganz bestimmte Bereiche, auf ganz bestimmte Kulturen, wo man sich dann aber, wenn man den Überblick, sozusagen den Umbrella oben, den Schirm hat, zu einem Verständnis, wo ich mir dann die jeweiligen Fähigkeiten schneller aneignen kann für den jeweiligen Bereich. Das klingt jetzt kompliziert, ist aber nicht so kompliziert. Das heißt also, ich bin da optimistisch, dass das geht, ohne dass man jetzt quantitativ das Pensum des Studiums aufstocken muss.

00:37:14: Arno Görgen Ein Punkt habe ich da gleich im Anschluss dran, den wir auch eigentlich schon öfter in unseren Folgen hatten, Eliane, nämlich, dass es, ich sage mal, neben der Idealsituation in der Lehre und Forschung – was ja immer noch relativ großer Safe Space sozusagen ist und dann der tatsächlich im praktischen Arbeit, dass es da vermutlich auch ein sehr starkes Gefälle gibt, weil man dann einfach doch wieder in einer Machtbeziehung steht, wo man dann Auftragsarbeiten nachgehen muss und so weiter und so fort, aber auch genau diese Punkte, die man eigentlich vielleicht auch schon gelernt und auch internalisiert hat, so ein bisschen hintanstellen müssen. Wie geht man mit diesem Gefälle

00:37:59: Eliane Gerber Darf ich da kurz noch einhaken. Du hast vorhin gesagt, überfordern wir die Studierenden oder müssen wir die Studierenden überfordern. Und ich glaube, das ist effektiv stark auch eine Frage: Welche Methoden nutzen wir und mit welchen Konzepten gehe ich an was ran? Also habe ich eine grundsätzlich kritische Haltung, bin ich mir bewusst, dass ich eben Hierarchien, die ich vielleicht selber nicht gut finde, die ich reproduziere, weil ich mit bestimmten Ideen über Design, über Zielgruppen daran herangehe. Und ich glaube, es geht eher darum, eben da Methoden und Konzepte auch zu vermitteln, die dabei helfen, das zu machen.

00:38:42: Uta Brandes Das Spannende, gerade am Design – und das unterscheidet ja diesen Bereich doch von vielen anderen Bereichen, nicht von allen –, ist, dass eigentlich die sogenannte Theorie und die sogenannte Praxis immer miteinander verwoben sind. Also ich eigne mir theoretisch etwas an, um dann auch Praxis zu verbessern und zu transformieren. Und die Praxis wiederum stellt mir Probleme oder Herausforderungen oder neue Ideen, die in die Theorie einfließen. Das finde ich einen Vorteil. Und wenn wir noch mal aufs Studium gehen, erstens ist es immer gut, dass man mit real existierenden Unternehmen, Agenturen, wie auch immer, auch Projekte macht mit Studierenden unter sozusagen schon mal zwar immer noch ein bisschen Safe Space, aber unter gefühlt professionellen Bedingungen. Und die andere Sache, da schimpfe ich manchmal mit ehemaligen Studierenden, die sagen: „Ja, ich finde das auch alles so wichtig mit dem Gender und möchte das auch so gern machen, aber in diesem Unternehmen, da ist das nicht so und ich bin ja jetzt noch eine kleine mit Designern und da kann ich das nicht durchbringen." Und dann versuche ich denen zu sagen: „Ja, aber erstens müsst ihr den Mut nicht aufgeben und zweitens, es ist klar, wenn ihr euch jetzt hinstellt und sagt: „Ich will euch mal was von Gender erzählen, Familie Siemens" oder wie weil diese Großkonzerne heißen, dann das kann ich vergessen." Aber warum nicht in der Ideen- und Konzeptfindung, einfach ohne dass man es erwähnt, solche gendersensiblen Dinge, Möglichkeiten, Ideen mit einzubringen? Und Vielleicht, es ist auch dann völlig egal, ob das jemand merkt, dass das was mit Gender zu tun hat oder nicht, aber vielleicht kommt man damit durch. Man muss nicht immer mit der Axt nach vorne. Das ist klar, in vielen Bereichen schafft man das nicht, weil es auch Machtpositionen, es geht um Macht. Aber wenn ich so was mache, das ist subtil. Ich bin ja sehr immer für Subversion. Wenn man das subtil unterwandert, ohne dass man es nach vorne stellt. Und wer weiß, vielleicht hat man dann Glück. Es ist zumindest dann erst mal mit auf dem Tisch und muss mit diskutiert werden.

00:40:47: Eliane Gerber Ich habe dann ein konkretes Beispiel aus der Arbeitspraxis. Ich konnte bei einem Arbeitgeber dann auch erreichen, dass wir bei den Stellenangeboten eben auch mit den, also Bilder nutzen konnten von potenziellen Bewerber: innen, die eben nicht das Stereotyp widerspiegelten, dass das wir in den Bewerbungen sowieso schon hatten und dadurch hatten sie effektiv eine sehr diversere Bewerbenden-Basis. Am Schluss wurde der Job dann trotzdem an eine Person gegeben, die diesem Stereotyp entsprochen hat. Also es braucht da auch Kooperation an anderen Stellen dann auch, aber schon rein dadurch, dass eben eine breitere Zielgruppe angesprochen werden oder auch willkommen geheißen werden kann, kann ich als Designerin eben da durch Bilder zum Beispiel eingreifen.

00:41:52: Uta Brandes Genau. Und wenn man wieder, mein Begriff, den habe ich ja schon öfter genannt, mit der Selbstverständlichkeit, wenn ich einfach diese anderen zum Beispiel Bilder mit reinbringe, Als selbstverständlich. Dann sind sie zumindest erst mal da, ob sie dann genommen und darauf … Aber sie sind erst mal da und damit hat man Vielfalt schon mal auf dem Tisch. Und dann könnte sich … Und dann lernen auch alle anderen, womöglich langsam im Laufe der Zeit ein anderes Sehen, ein anderes Begreifen oder sie begreifen es gar nicht und finden es aber gut, dass es jetzt so differenziert ist und dann kann sich schon was ändern. Also ich neige eher dort zu einem gewissen Optimismus für die Zukunft.

00:42:31: Arno Görgen Ich finde auch ihren Gedanken der Subversion, ich bin ja eh immer für Subversion, finde ich sehr schön. Auch deshalb, weil ja gerade diese Begrifflichkeit, Gender, wie auch immer, mittlerweile so politisiert wird und so im Fokus eines ausgerufenen Kulturkampfes steht, dass man mit diesem Begriff selbst in einer breiteren Öffentlichkeit ja nur noch schwer hantieren kann, ohne gleich von irgendeiner Seite angegriffen zu werden.

00:43:11: Uta Brandes Ja, das stimmt. Und Subversion würde dann heißen, dass ich vielleicht bestimmte erst mal Reizwörter, die offenbar gesellschaftlich immer noch oder in bestimmten sozialen Dimensionen als Reizwörter gelten, indem ich die einfach vermeide und indem ich dafür andere finde, aber ohne, dass ich zurückfalle in die Stereotype. Man muss dann ein bisschen kreativ sein, wie man, statt dann zu sagen: „Hier für Frauen, da für Männer", dann muss man sich eben was anderes ausdenken, aber ich glaube, es geht. Deswegen mag ich ja das Wort, ich finde es so schön, Menschen sehr, sehr gerne. Es ist sehr human, Menschen. Und damit sind erst mal alle inkludiert. Damit ist noch nichts über die jeweils spezielle Person ausgesagt. Und wenn ich für Menschen gut gestalte, dann ist es doch eine kluge, soziale und übrigens auch, glaube ich, mittelfristig ökonomisch erfolgreiche Situation.

00:44:08: Eliane Gerber Ich würde gerne so jetzt gegen Schluss mal die Frage stellen, wie sich Forschung zu Gender und Design denn entwickelt hat über diese Jahre, mit denen sie sich damit beschäftigt hat und wo sie eben aktuell steht?

00:44:25: Uta Brandes Sie hat auf jeden Fall zugenommen, als ich wurde Professorin dann seit '95, also wirklich sehr lange her. Und da war es tatsächlich noch keine Frage. Und da musste auch Forschung und die Tools und die Methoden erst entwickelt oder übernommen werden, transformiert werden und so. Das war eine spannende Aufgabe. Inzwischen gibt es Forschung. Inzwischen sind auch Menschen in der Welt auch zum Teil, zum Glück, einige in sehr einflussreichen Positionen, wo sie diesen Gendergedanken aber automatisch immer mit reinbringen. Also da bin ich natürlich dann immer stolz, wenn das ehemalige Studierende von mir sind: „Die hat bei mir promoviert." Gesche Joost, zum Beispiel, ist so eine. Und irgendwie, das ist ganz schön. Und das heißt, es gibt viel mehr Forschung. Es gibt allerdings auch – darüber haben wir vorhin gesprochen, Stichwort „Intersektionalität" – auch womöglich mehr Herausforderungen in der guten Absicherung und guten Begründung von damit nicht wieder jemand kommt und sagt: „Aber du hast gar nicht in Afrika geforscht." Vielleicht ist es auch erst mal besser, dass ich dort nicht geforscht habe, weil wenn ich da relativ inkompetent hingehen würde, wäre es auch falsch. Dann müsste ich mir die Kooperationspartner:Innen dort suchen. Das ist wieder eine Geldangelegenheit und so weiter. Also es ist herausfordernder geworden, es ist aber quantitativ größer geworden und ich glaube, es wird in Zukunft noch größer werden. Ich merke das häufig. Ich werde jetzt, was mich sehr freut in meinem hohen Alter, häufig von Studierenden von Hochschulen gefragt, ob ich nicht einen Vortrag oder Workshop oder so was machen könnte, weil sie hätten ja dieses Gender und Design leider nicht bei sich als Professur oder überhaupt als Gebiet an der Hochschule. Und da ist so viel Interesse, und zwar übrigens inzwischen eben auch wirklich von allen Geschlechtern und so mit ganz großen Ohren hören die zu und diskutieren. Einige sind schon auch sehr kompetent in Genderfragen, andere noch nicht so und das macht so einen Spaß. Und deswegen, ich habe es schon erwähnt, bin ich einigermaßen optimistisch trotz all dieser miesen Zeiten in diesem Bereich für die Zukunft.

00:46:37: Eliane Gerber Was sind Ihrer Meinung nach besonders dringliche Aufgaben und Fragestellungen der Forschung zu Gender und Design?

00:46:51: Uta Brandes Also einerseits Kulturalität. Das heißt, das finde ich ohnehin spannend und ist ja wichtig, dass man versucht, kulturell übergreifend beziehungsweise vergleichend zu forschen. Ist aber, wie vorhin schon mal erwähnt, auch ein Finanzproblem. Ich kann eben nicht mal so nach Japan und dann nach Südafrika und dann wieder nach Schweden zur Forschung fahren. Es wäre ideal. Das heißt, wir müssen, das gibt es ja auch gerade in der EU, mehr dann Kooperationsforschungen haben. Also noch mehr Kooperation wäre wichtig, noch viel mehr Netzwerkgedanke, Ich wünsche mir auch, dass in unserem International Gender Design Network, dass sich da noch mehr auch Institutionen, also sprich Hochschulen oder gerne auch Unternehmen anschließen würden. Da haben wir bisher nur sehr wenige und ich glaube, das ist wichtig und der Begriff, den ich jetzt bestimmt zum 20. Mal erwähne, die Selbstverständlichkeit dieser Forschung als ein Forschungsbereich, der mindestens genauso wichtig ist wie Sustainability, wie Materialgerechtigkeit, wie Ökonomie, also wie teuer wird was und so weiter. Es muss einfach ein Bereich sein, der so wichtig ist wie diese Dinge, weil die anderen Dinge werden ja überhaupt nie bezweifelt. Dass ich zum Beispiel auch auf Wirtschaftlichkeit gucken muss. Ich kann nichts aus Platin machen, wenn das hinterher 3,50 Franken kosten soll und so weiter. Da leuchtet es jedem ein und Gender will ich genau auf diese Ebene auch geben. Und dann wäre alles ziemlich gut.

00:48:26: Arno Görgen Das ist doch mal ein schönes Schlusswort. Und was ich auch gemerkt habe, ist auch, wie nah eben dieses Thema auch grundsätzlich an gesellschaftlichen Entwicklungen immer sich ja parallel entwickelt. Ich meine, ist ja auch logisch. Und insofern bin ich sehr, sehr froh, dass wir Sie heute hier begrüßen durften und dass Sie uns mit Ihren vielen, vielen Erfahrungen, mit Ihrem überragenden Wissen hier, wie sagt man, bereichert haben und vielen Dank dafür an dieser Stelle.

00:49:02: Eliane Gerber Ja, vielen, vielen Dank.

00:49:04: Uta Brandes Ich danke Ihnen, dass Sie mich so loben. Das beschämt mich fast. Es hat mir großen Spaß gemacht. Herzlichen Dank.

00:49:12: Arno Görgen Uns hat es auch großen Spaß gemacht und Ihr, liebe Zuhörer: innen, könnt alle wichtigen Informationen, die wir jetzt in der Folge erwähnt haben, Literaturangaben, Netzwerke und so weiter und so fort, in den Show Notes finden. Schaut dort rein, ihr werdet fündig. Wir sprechen uns dann in einem Monat wieder zu einem anderen Thema. Ich weiß gerade, ehrlich gesagt, gar nicht, zu welchem, aber das seht ihr dann und werdet überrascht und freudig sein. Bis dahin wünschen wir euch eine gute Zeit. Tschüss.

00:49:45: Eliane Gerber Tschüss

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