Bericht von der NERD
Shownotes
Tagungsseite NERD-Konferenz Profilseite Helge Oder (TH Augsburg) Profilseite Tom Bieling (HfG Offenbach) Profilseite Ozan Güngör (Critical Media Lab, Basel) Profilseite Veronica Ranner (Nanyang Technological University, Singapur) Profilseite Luz Christopher Seiberth (Uni Potsdam) Firmenseite Robert Fehse (Argument)
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00:00:19: Arno Görgen Liebe Zuhörer:innen, wie immer, herzlich willkommen bei Design Macht Gesellschaft, dem Forschungspodcast des Institute of Design Research an der HKB Bern, der Hochschule der Künste in Bern. Wie immer mit mir, Arno Görgen und …
00:00:45: Eliane Gerber Mit mir, Eliane Gerber.
00:00:47: Arno Görgen Und wir haben heute eine etwas ungewöhnliche Situation, weil wir im Prinzip etwas von unserem normalen Arbeitsablauf abweichen, denn wir zeichnen jetzt eigentlich nur eine Einleitung und einen Schluss auf. Und das hat den Grund, dass wir etwas experimentiert haben.
00:01:03: Eliane Gerber Genau. Wir haben nämlich das erste Mal, berichten wir von einer Designkonferenz, und zwar hast du die NERD in Augsburg besucht.
00:01:13: Arno Görgen Genau. Ich war in der technischen Hochschule in Augsburg. Ich meine, in Augsburg habe ich ja studiert und es ist von meinem Wohnort, meinem aktuellen, gar nicht so weit weg. Deswegen lag das wortwörtlich nahe und ich habe mich auch sehr gefreut, als wir das gesehen hatten. Und dort hat eben besagte Hochschule gemeinsam mit BIRD, dem Board of International Research and Design, eine Tagung veranstaltet, nämlich die NERD, also NERD-BIRD. Wir haben es hier mit haufenweise lustigen Akronymen zu tun. Nichtsdestotrotz muss ich sagen, die Tagung selbst war sehr spannend, weil sie sich eben NERD, das steht für New Experimental Research and Design, mit neuen Forschungsansätzen oder experimentellen Forschungsansätzen im Design auseinandergesetzt hat.
00:02:01: Eliane Gerber Genau und was wir gleich hören, sind Mitschnitte von Interviews, die du geführt hast mit verschiedenen Leuten, die da präsentiert haben.
00:02:09: Arno Görgen Richtig. Also ich habe erst mal mit der Organisation gesprochen. Das war zum einen Professor Dr. Helge Oder von der Technik in der Hochschule Augsburg. Das zweite war Tom Bieling von der HfG Offenbach und habe mit beiden über die Konzeption der Tagung gesprochen. Dann hatte ich, jetzt muss ich mal kurz überlegen, weil wen hatte ich denn dann? Das zweite war Ozan Güngör vom Critical Media Lab an der HGK Basel. Ein sehr schöner Beitrag über Counterspaces in Museen. Als Drittes hatte ich dann gesprochen mit Veronica Ranner von der Nanyang Technological University in Singapur. Sie hatte einen Vortrag gehalten mit dem Titel: «Polyphonic Futures: Collectively speculating Biodigital Imaginaries as a transversal engagement Method across Matter, Design, Science and the Public.» Ein langer Titel, ein ziemlich guter Vortrag, wie ich fand. Wir werden darüber später noch mehr hören. Und schließlich quasi auch als Abschluss der Tagung sprach ich mit Luz Christoffer-Seiberth von der Universität Potsdam und Robert Fehse von «Argument» und sie hatten einen eher philosophisch angehauchten Beitrag gehalten mit dem Titel «No Recipes for Design, Reference, Resolution and the Metaphysics of Design Objects.»
00:03:36: Eliane Gerber Genau, und auch wenn die Titel zum grossen Teil Englisch sind, ist es so, dass nur das zweite Gespräch in Englisch geführt wurde, die anderen Gespräche sind in Deutsch. Ja, ich bin gespannt auf die Gespräche. Wir hören uns hinterher noch mal und jetzt zuerst gute Unterhaltung.
00:04:01: Arno Görgen Also ihr lieben Zuhörer:innen, hier bin ich in Augsburg und wir machen etwas, was wir noch nie gemacht haben, nämlich direkt von einer Konferenz berichten. Und ich bin hier auf der NERD-Tagung in Augsburg, an der Hochschule, sagt man, glaube ich, mittlerweile.
00:04:24: Helge Oder Technische Hochschule.
00:04:25: Arno Görgen An der Technischen Hochschule Augsburg. Und ich habe bei mir heißen Helge Oder von der Technischen Hochschule Augsburg und Tom Bieling. Wo du jetzt gerade bist, das habe ich jetzt völlig unterschlagen und habe ich auch vergessen nachzugucken, muss ich ehrlich sagen.
00:04:41: Tom Bieling Kann ich gerne sagen. Jetzt gerade bin ich natürlich auch an der Technischen Hochschule Augsburg, aber grundsätzlich bin ich an der HfG Offenbach, wo ich die Professur für Designtheorie innehabe.
00:04:50: Arno Görgen Jetzt kann ich natürlich ganz frech fragen: Wie kommt es, dass jemand aus Offenbach mit jemandem von der Technischen Hochschule Augsburg eine Tagung organisiert? Was hat es damit auf sich?
00:05:00: Helge Oder Zum einen hängt das natürlich mit ähnlichen inhaltlichen Interessen zusammen. Zum anderen hängt es auch damit zusammen, dass die Designforschungszene in Deutschland zwar nicht klein, aber auch nicht unüberschaubar ist und man eben sich im Blick hat und auch versucht, Synergien zu entwickeln, gemeinsam Formate anzuschieben. Und so kam eben auch dann der Kontakt zustande. Also er bestand schon längere Zeit und dann kam eben irgendwann die Idee, auch mit dem BIRD zusammen hier die Konferenz abzuhalten. Da gibt es einen besonderen Hintergrund, den ich noch erklären darf, mit der Novelierung des Bayerischen Hochschulgesetzes. Ich hatte es vorhin auch in meiner Anmoderation erwähnt, kommt den Hochschulen für angewandte Wissenschaft, also die Fachhochschulen, wie wir eine sind, auch im Forschungskontext eine stärkere Bedeutung zu, soll zukommen. Das geht sogar so weit, dass auch Fachhochschulen das Promotionsrecht erhalten und dass man jetzt in Bayern auch dabei ist, Forschungs-und Promotionscluster zu entwickeln, die themenspezifisch und schwerpunkt-spezifisch zwischen verschiedenen Hochschulen geschaffen werden. Und das ist ein sehr schönes Umfeld, das ist ein sehr neuartiges Umfeld und dazu passt eben auch gut, dass die Konferenz, die NERD-Konferenz, eben genau diese Frage: Was ist eigentlich experimentelle Forschung im Design thematisiert? Das passt super jetzt gerade nach Bayern in dieser Aufbruchstimmung, die jetzt gerade auch in den Fachhochschulen herrscht.
00:06:26: Tom Bieling Und wenn ich ganz kurz ergänzend darf, weil das wichtig ist, dass nicht der Eindruck entsteht, dass ich das alleine mit dir hier gemacht hätte. Das ist ja nicht in der Fall. Also ich bin hier auch in erster Linie als Repräsentant des sogenannten BIRD, wie du es gerade schon erwähnt hast. Das BIRD steht als Kürzel für das Board of International Research in Design. Da sitzen außer mir noch der Wolfgang Jonas, die Uta Brandes, der Marc Pfaff, der Ralf Michel, Michel Christensen und Sandra Groll drin. Es gibt die gleichnamige Buchreihe beim Birkhäuser Verlag, die dieses Jahr ihr 30. Buch veröffentlichen wird in dieser Reihe.
00:07:00: Arno Görgen Auf die Reihe werden wir natürlich auch in unseren Show Notes verweisen. Kauft sie, kauft sie, bis ihr kein Geld mehr habt. Genau, BIRD, ganz wichtig, hätte ich auch noch gefragt. Das andere Akronym, das wir hier jetzt haben, ist Was ist NERD? Was hat es mit NERD auf sich?
00:07:18: Tom Bieling Ja, NERD steht in dem Fall für New Experimental Research in Design. Das ist uns ganz wichtig, noch mal hervorzuheben. Das Experimentelle ist relativ klar, vielleicht auf den einen ersten Blick. Da geht es projektgeleitete und praxisgeleitete Forschung, Research through Design, Forschung durch Design, entwurfsbasierte Forschung. Es geht uns aber insbesondere auch tatsächlich um neue Ansätze, um Ansätze, die es vielleicht so noch nicht gibt oder die auch fragwürdig sind oder die erst mal experimentell selber erforscht werden müssen, ob es denn gute oder adäquate Ansätze sein können. Das ist ja gerade in der Abgrenzung auch zu anderen wissenschaftlichen Wissensfeldern und Praxisfeldern immer eine interessante Frage beim Design, was einerseits wissenschaftlich, aber eben auch praktisch unterwegs ist, also selber immer gestalterisch und auch intervenierend unterwegs ist. Da sind wir in erster Linie wirklich offen und neugierig, was es da für neue Ansätze gibt, die wir dann gemeinsam auf diesen Konferenzen oder in den entsprechenden Publikationen tatsächlich auch zur Diskussion stellen.
00:08:24: Arno Görgen Wenn du jetzt sagst, neue Ansätze, würdest du denn sagen, dass es schon so was wie eine kanonisierte Designforschung gibt?
00:08:31: Tom Bieling Würde ich mit einem klaren Jein beantworten in dem Fall, weil es natürlich so einen gewissen Body of Knowledge in dieser vergleichsweise nach wie vor ja doch noch recht jungen Disziplin sicherlich gibt. Auf der anderen Seite wird parallel dazu natürlich auch stark daran gearbeitet, so was wie einen Kanon bitte tunlichst doch auch zu vermeiden, weil es gar nicht unbedingt ja immer nur darum geht, jetzt zu sagen: Was sind jetzt die 50 relevanten Themen oder Texte oder Positionen oder Autor:innen, sondern vielleicht gerade herauszufinden, welche gibt es denn noch und welche kennen wir noch nicht? Eigentlich eine permanente Suchbewegung, in der wir uns befinden. Und das ist mit einer der Beweggründe, warum wir gesagt haben, wir sollten uns von Zeit zu Zeit, spätestens alle zwei Jahre oder im Idealfall, jedes Jahr zusammensetzen mit Leuten, die aus aller Welt auch kommen und da eben unterschiedliche Positionen auch mitbringen.
00:09:23: Helge Oder Ja, was heißt es, ein Nerd zu sein? Ein Nerd ist immer jemand, der Dinge vielleicht ein kleines bisschen anders macht als das, was man als normal bezeichnen würde. Ich möchte mich bei dem Begriff des Experiment, der experimentellen Forschungen, gerne auf einen der bekanntesten Wissenschaftler zu dem Thema, den Hans-Jörg Reinberger, beziehen, der ja zu Experimentalsystemen und epistemischen Dingen geforscht hatte. Und ich versuche, ihn so sinngemäß zu zitieren. Eine der Kernaussagen war eben auch die, dass Experimentalsysteme, die, wenn sie wirklich Erkenntnis hervorbringen wollen, oder ständig am Rande des Zusammenbruchs und der selbst in Fragestellung arbeiten müssen. Und die Frage, was denn eigentlich jetzt auch Gegenstand der Erkenntnis ist, eben auch, was grundsätzlich immer auch sehr fluides und wandelbares ist. Und genauso ist es auch in der Designforschung oder in der Entwurfsforschung, kann man ja auch sagen, weil zwischen Design, Entwerfen und Gestalten gibt es Unterschiede. Die Begriffe sind nicht synonym zu verwenden, da lege ich hohen Wert drauf. Und ein Gegenstand der Gestaltung sind eben auch die Forschungsprozesse selbst, die auch immer wieder überprüft, revidiert, auf ihre Potenziale hin untersucht und fragengestellt werden wollen. Und da kann man noch zu einer weiteren ganz grundlegenden Eigenschaft von Gestaltung, denn Erkenntnis erzeugen Gestaltungsprozesse ja immer. Die Frage ist nur, ob sie als Forschung und als wissenschaftlich anerkannt werden oder nicht. Und das ist immer eine Frage des Approaches, der Haltung, des Zugangs und auch der Anerkennungsverhältnisse, die diese Art der Wissensproduktion in einem vielfältigen Umfeld, im akademischen Umfeld, im wirtschaftlichen Umfeld, im Umfeld der Gesellschaft erfährt. Und auch dieses Umfeld permanent weiter zu gestalten und der Designforschung und der Entwurfsforschung die Relevanz zu verschaffen oder weiter zu verstärken, die Relevanz, die sie natürlich unserer Ansicht nach haben muss und haben soll. Daran arbeiten wir auch mit solchen Konferenzformaten. Und darum freue ich mich auch sehr, dass wir heute in Augsburg auch den BIRD mit der NERD-Konferenz und mit ganz spannenden Vorträgen und ganz interessanten Leuten begrüßen durften.
00:11:22: Arno Görgen Ja, früher BIRD fängt den NERD. Das musste jetzt mal erlaubt sein. Jetzt habe ich noch eine Frage, und zwar, es ist ja nicht nur eine Nerd-Konferenz, sondern ihr habt auch ein Thema, nämlich The Sixth Sense. Ist das jetzt nur ein Verweis auf den Film oder bezieht sich das eher auf den Erkenntnisgewinn, den du eben angesprochen hast?
00:11:44: Tom Bieling Helge hat dazu eigentlich was Schönes heute Morgen gesagt. Das kann ich wahrscheinlich gar nicht so gut wiedergeben, wie ihr das selber könnte, aber es geht natürlich in dem Fall weniger den Film, der einem vielleicht als erstes in den Sinn kommt. Der sechste Sinn ist ja immer etwas, sagen wir mal, etwas unerklärliches. Was wir permanent, sowohl in der Forschung als auch in der Gestaltung, oder womit wir permanent oder sehr häufig konfrontiert sind, ist eigentlich die Auseinandersetzung mit dem Ungewissen. Also das, was schwer ergründbar ist, vielleicht nicht erklärlich ist und trotzdem aber irgendwie einen Zugang dazu zu finden. Das kann eine Lösung für etwas sein, das kann eine Erläuterung für etwas sein, das kann eine Interpretation oder eine Deutung sein. Das ist eigentlich so der Hauptgrund. Es gibt noch einen zusätzlichen Grund. Wir haben so eine kleine, also in dieser, das ist ja jetzt die sechste Konferenz, deswegen Sixth Sense und wir hatten bei jeder Konferenz immer ein kleines Wortspiel in der Namensgebung. Also die dritte Konferenz hieß «Third Nerd; und mehr fallen mir jetzt gerade auf die Schnelle gar nicht ein, müsste ich muss mal nachlesen, aber es gibt immer ein kleines Wortspiel und man darf gespannt sein, was dann zum Beispiel die siebte, achte, neunte, zehnte schon bereithalten.Wird im Hintergrund schon fleißig gearbeitet, glaube ich.
00:12:55: Helge Oder Ja, wie du gerade sagtest, Tom, der sechste Sinn ist etwas, was sich schwer erklären fassen oder quantifizieren lässt. Natürlich haben wir in der gestalterischen, künstlerischen Disziplin immer auch ein bisschen mit dem, will nicht sagen, Vorwurf, aber mit der Vermutung zu kämpfen, dass man eben eher nicht rationalisiert, nicht objektivierbar, nicht quantifizierbar arbeitet. Das stimmt teilweise, teilweise stimmt es nicht. Aber tatsächlich sind die Qualitäten dessen, was das Entwerfen hervorbringt, eben nur zum Teil in quantitativen Größen zu fassen. Zum Teil sind es wirklich Qualitäten die im Bereich des Künstlerischen und auch des Ästhetischen liegen. Dabei spreche ich aber auch von einer Dimension von Ästhetik, nicht nur in der Wahrnehmung und passiven Anschauung, sondern die eher auch eine Dimension von Handlungen, vom Hintergrund von lebenslanger Erfahrung darstellt. Und diese Art von Haltung, die man eben durch langes Praktizieren, Einüben von entwerferischen, gestalterlichen Praktiken, ja ein Stück weit sogar verinnerlicht, habitualisiert, das ist eben auch etwas, was diesen sechsten Sinn ausmacht. Und da will ich jetzt gar nicht behaupten, dass das nur exklusiv für Gestalter und Gestalterinnen vorenthalten ist. Alle Art von tiefgehender Praxis erzeugt so eine Wissenskultur. Und darum ist meiner Ansicht nach Forschung und Wissenschaftlichkeit in der gestalterischen Disziplin ist auch immer ein disziplinübergreifender, ein kooperativer Prozess. Und erst wenn man gemeinsam diese Orte, wo das Wissen entsteht, erkundet und Artefakte erzeugt, die dann wiederum gegenseitige Erkenntnisse, Anerkennungsprozesse hervorrufen, erst dann entsteht wirklich das, was man so als relevantes, skalierbares Wissen bezeichnet. Und das muss aber eben auch tatsächlich systematisiert und anerkannt werden. Und auch in anderen Disziplinen müssen auch ästhetische Kulturen, die durchaus vorhanden sind und die im Wechselspiel auch mit Gestaltung und Design eben gut funktionieren, eben auch den Platz bekommen, den sie gemäß dieser Art von Wissenskultur, über die wir sprechen, auch verdienen.
00:14:52: Arno Görgen Ist jetzt eigentlich schon fast ein sehr schönes Schlusswort gewesen. Ja, doch belassen wir es dabei, oder? Weil mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen. Ich danke euch, dass ich hier Gast sein durfte beziehungsweise wir von Design. Macht. Gesellschaft. und es hat mir große Freude bereitet. Vielen Dank für diesen schönen Tag. Morgen kann ich ja leider nicht hier sein. Da muss ich zu einer anderen Tagung flitzen, aber es war mir eine Freude doch.
00:15:20: Tom Bieling Wir berichten dir. Schön, dass du da warst und vielen Dank auch.
00:15:22: Helge Oder Ja, besten Dank.
00:15:37: Arno Görgen I'm really excited because today I'm here at the NERD conference in Augsburg. And actually on the other side of the desk, I've got a colleague from Switzerland sitting here. And this said colleague is Ozan Güngör from the Critical Media Lab at the HGK Basel in Switzerland. And he will give a talk at this conference with the title «Counterspace: Strategies for Challenging Hegemony in Institutional Spaces.» Ozan, first of all, maybe you could shortly introduce yourself to our audience.
00:16:16: Ozan Güngör Sure. Thank you, Arno. I'm happy to be your guest here today and later on also the guest speaker at the conference. I am Ozan Güngör, as you already mentioned. I am working I'm working at the Fine Art Academy of Basel in the Critical Media Lab, as you mentioned, although recently I switched to MA program, so I'm not in research anymore, but more involved in the master's program. And today, I'm going to, at the conference, talk about counter space. This is a project that started roughly three years ago, while I was thinking about a master's thesis, but it kept on going and growing bigger. Now I have a art collective. Three of us are also developing interventions and artistic projects around this subject. And I'm happy to discuss a bit more with you.
00:17:12: Arno Görgen Maybe we can simply go through the title part for part, and we could start with the term hegemony, or maybe the combination hegemony and institutional spaces. What do mean by that?
00:17:30: Ozan Güngör I actually borrow this term from Antonio Gramsci. Maybe it is known to some of the listeners or maybe as well you. Back in the '30s in fascist Italy, he was, while he was in prison, he had this prison notebooks, and he formulated this idea of cultural hegemony, where a class in society or a group, a dominant group in society becomes the main group that defines the status quo in a society and then what they do and what they define as normal will also be taken over by the subordinate classes. And this, to Antonio Gramsci, is a very oppressive and hegemonic point of power. This is also where cultural institutions come into play because also part of our work is about museums as cultural institutions. And they tell us a story, they narrate a story, our history, our backgrounds, who we are, what we look like, what we do, how we dress, how we behave in a society. And they dictate these norms on the rest of the society. And this is what I mean by hegemony here and also cultural hegemony through Anthony Gramsci's theory.
00:18:45: Arno Görgen Talking about museums, would you say that this maybe is the idea of every museum there is?
00:18:54: Ozan Güngör I don't want to generalize super broadly because there's so many different types of museums. But in my case, in our case, in my collective, we look into art museums, and especially art museums in the western hemisphere or global north, if you will. And here, if you trace them back to renaissance or Wunderkammer in some of the northern European states, or to Louvre, which is one of the biggest, earliest public museums. And they were actually thought about as educational pedagogic institutions because it was the birth of nations. Now you have an ethnic state, a nation state in your hands. And these were very diverse in the beginning. You know, these people, french people, italian people, oder german people, sometimes didn't even understand each other. So they had to teach them a standard language, a standard way of being, and who they are as a people together. So if we talk about art museums, for sure, they define who we are, and they tell us this story about us.
00:20:01: Arno Görgen And where does the counter space come into this?
00:20:05: Ozan Güngör Good question. Thanks for this. I actually, before my master's thesis, I studied architecture, so I'm a bit, as architects do, probably a bit obsessed about spaces. And I was thinking, so there's this giant institution inside the space and they tell us a story and I cannot change this thing. And how can I find a way to maybe appropriate this space or maybe sneak in a different narrative? And what could it be? How can we go about this? And I was working on this thesis, I thought, there must be a space that counters this hegemonic position. Hence the name came from.
00:20:46: Arno Görgen Do you have an example for how this could work in practice?
00:20:52: Ozan Güngör Actually, these are generally cases of appropriation, which we also did a couple of times with the collective. For example, this will come over and over, the Kunstmuseum of Basel, which is a very big and famous institution. We even get the chance to collaborate with them. They invite us for a collaboration. When we got this opportunity and chance to take over the space of this institution, we took it as a chance to tell a different narrative. In our case, it was the payment practices of this institution, which is quite... puts their collaborators in a very precarious situation. It was a very, very small amount of payment in terms of Basel, so to say. Und wir use this two hours of our intervention and the public space of Kunstmuseum to talk about this. Normally, this is not something museums would tell you. Und we thought like, okay, now we have this space, we have the audience, we have this amount of time. And we use this for something else rather than doing what museum asks us to do.
00:21:56: Arno Görgen I have to think of discourses of decolonialisation of postcolonialism. Our last episode was actually about Colonisation. My impression is that at least in, let's say, middle Europe, there is a new consciousness and a new openness to open these spaces, actually, for things like what you did with your collective. Is that impression correct?
00:22:29: Ozan Güngör I also want to be careful here because there's a lot of tokenization of projects and also diversity, which in all sense is happening. And I also want to our audience that don't see me, I want to disclose that I'm a white-passing person, even though I'm not from Europe. So I'm also, obviously, a male person that's like, when you see me, you can definitely tell that. So I want to be cautious about talking about everyone else's experience. Because I have a different experience, probably an easier experience than certain groups. And obviously, some museums and some public institutions try to invite people that are not clearly white, western, heteronormative und so on, and so on. I'm not sure much of it is really sincere. We were also invited because it was a collective, because collective practices are more famous nowadays. And they thought maybe some little critique would also help the institution. That's my impression. I don't know what they genuinely thought. But I would be careful about saying institutions are happy and open about critique or inclusivity.
00:23:49: Arno Görgen Well, we are at a design conference, and I was thinking about two things: on the one hand, design research and on the other hand, design practice and how do they engage in these discourses and practices of generating counter spaces?
00:24:11: Ozan Güngör I think this project is a bit on the border of different... Or like an intersection of different things. It obviously started as a design research project because it was also part of a... I was a student of a design research-based master program. And I borrowed a lot of theories from social sciences, but also spatial theory and so on. And this clearly and directly influenced the practice, which I was thinking about how to counter hegemony and institutional spaces. But then there were a lot of instances where this intersected with art activism. Again, design theory, but also social sciences and theory from different fields. So I would like to say this is a transversal practice. This is not just one or the other, but it cuts through different fields and knowledges and tries to make use of them altogether.
00:25:11: Arno Görgen It's somehow paradigmatic for what I experience as, I'm not a genuine design researcher, what I experience as design research being transdisciplinary, working on many levels of societal observation and so on. And one last question would be by thinking in counter spaces, what would maybe be ethical challenges from your perspective? Because on the other hand, we, of course, have the museums who have to develop some kind of awareness about what they exhibit and how they exhibit. What are the ethical challenges from your side?
00:26:04: Ozan Güngör This is again a very interesting question. Thanks for this. I'm constantly also asking myself this question, what am I doing exactly? What is my role in this whole thing? Because when I started, I was thinking about a method that everyone else can use, because I don't want to tell anyone else's story, because I don't know them. I only want to challenge the main story or the narrative that's told by the institutions. So in the ideal world, this counter-spatial practice could be given to anyone else, and they can also inject their narrative in public space, in institutional spaces. But again, I'm not sure if I can decouple myself from my role as a designer, as an academic, and maybe even still a top-down position. And I suggest or recommend a method, a practice, to everyone else thinking that this might work for multiplicity of experiences and people and backgrounds, which might be a top-down, or maybe even hegemonic way of approaching this.
00:27:18: Arno Görgen Finally, can you recommend us some homepages or sources where we can read about your work, or maybe even visit it in situ in the actual spaces?
00:27:32: Ozan Güngör We are working regionally in and around Basel, currently. So if you're in Germany and go to Freiburg next summer, we're going to have a couple of installations there as well. But if you're in Basel, or wherever you are, that you're listening to us right now, we, as a collective, have a website called unofficialhikingsociety.com. So if you go there, you can obviously see our work, some of our writings. We're also preparing a publication at the moment. And we're also going to put it on the website as soon as it's ready. We also have interventions that are, for example, one good example is we have an audio walk that discusses institutional power and public space, and where's the boundary between public and private? That's again in Kunstmuseum. That's on Spotify. So if you visit our website, there's a QR code that leads you to Spotify, so you can listen to our your walk. And if you're in Basel, feel free to go to Kunstmuseum, put on your headphones, and take the walk. And we're so happy to hear any feedback and reviews from the visitors as well. We also have a social media account. We try to keep it up to date, whatever happens. So that's also one way to...
00:28:47: Arno Görgen On which platform?
00:28:48: Ozan Güngör On Instagram mainly. So if you're curious about what's happening currently, that's probably a good platform to follow us.
00:28:54: Arno Görgen What's the moniker of your account?
00:28:58: Ozan Güngör Again, it's Unofficial Hiking Society. Also, yeah. So it's the name of the collective, whatever we do. We try to keep that as the standard name.
00:29:06: Arno Görgen Okay, so you guys all heard it. Thank you for your insights into your project. It was really exciting and inspiring to listen to you. And I wish you all the best for your talk. Tomorrow, I think it is.
00:29:21: Ozan Güngör Tonight, actually. Tonight. This evening.
00:29:24: Arno Görgen Okay.
00:29:24: Ozan Güngör Thank you so much for the invitation, Arno. It was lovely to be your guest.
00:29:29: Arno Görgen Thank you.
00:29:41: Arno Görgen So, lieber Zuhörer, Wir sind jetzt, jetzt sitzen wir hier schon mit unserem nächsten Gast. Bei mir sitzt Veronica Ranner. Jetzt musst du mir helfen. An welcher Uni bist du?
00:29:54: Veronica Ranner An der Young Technological University in Singapur.
00:29:58: Arno Görgen Und wie landet man dort?
00:30:00: Veronica Ranner Ja, das ist eine gute Frage, weil das ist ja nicht unbedingt der nächste Weg nach Singapur, von London oder München aus. Das hat sich tatsächlich durch mehr oder weniger einen Zufall ergeben. Ich wurde vor einigen Jahren auf ein Biodesign-Symposium eingeladen, dort eine Keynote zu geben und wurde dann dort von den dortigen Professoren angesprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass es dann bald eine Stellenausschreibung geben wird und da habe ich mich dann drauf beworben und dann bin ich dort gelandet.
00:30:29: Arno Görgen Und wir haben gerade festgestellt, dass du schon mal bei uns in Bern warst. Das fand ich jetzt gerade echt total lustig.
00:30:34: Veronica Ranner Das hat sich gerade so ergeben. Wir haben das dann irgendwie im Gespräch gemerkt. Es war vor der Pandemie noch.
00:30:43: Arno Görgen Ja. Und hier bist du ja bei dieser Tagung mit einem Vortrag. Ich lese den Titel mal vor: «Polyphonic Futures, Collectively Speculating Biodigital Imaginaries as a Transversal Engagement Method across Metadesign, Science and the Public.» Ich habe den Vortrag ja jetzt schon gehört und ich versuche mal, grob zu sagen, was ich verstanden habe. Ich muss an der Stelle sagen, es war ein unglaublich bereichernder, vielseitiger, also mich persönlich auch, weil er so toll war, überwältigender Vortrag, bei dem es so viele Facetten gab, dass man die jetzt auch unmöglich in den 15, 20 Minuten, die wir jetzt haben, alle besprechen kann, was mir hängen geblieben ist. Es ging um Seidenraupen und die Seidenproduktion und im Prinzip darum, wie diese Seidenproduktion, sowohl in der Forschung wie in der Praxis, immer weiter vorangetrieben wird. Und was ich da sehr, sehr spannend fand, ist, was ich auch nicht wusste, die Seidenraupen, wenn sie in ihrem Cocon eingesponnen sind, im Prinzip alle abgetötet werden und dann die Seide, ich sage mal, jetzt abgeerntet wird. Und diese Seide ist wiederum ein Rohstoff, der, so ist es bei mir angekommen, unheimlich vielseitig ist und vor allem sehr, sehr viel Potenzial hat, beispielsweise in der Biomedizin. Und da sind wir jetzt an dem Punkt, den ich vielleicht am wichtigsten bei dir fand, nämlich einerseits dieses lebende Materie zu einem Werkstoff umwandeln, nicht nur bei den Seidenraupen, sondern auch diese Übertragung dieser Werkstoffe und die Formbarkeit des menschlichen Körper, die sich daraus ergibt, nämlich, dass man zum Beispiel solche Seidenprodukte dann in der Biomedizin in Form von Implantaten oder Ähnlichem einsetzen könnte. Habe ich das halbwegs richtig verstanden? Und noch natürlich die ethischen Implikationen, die damit einhergehen.
00:32:59: Veronica Ranner Ja, das ist würde sagen, sehr korrekt. Ich habe das bei jedem Wort genickt und finde, hast du es sehr gut erfasst und komplett auf den Punkt getroffen.
00:33:11: Arno Görgen Da bin ich jetzt auch wirklich beruhigt, weil es war einfach viel und ich habe ja sehr, sehr viel ausgelassen und das hat einfach so einen ausdefinierten Eindruck gemacht. Das hat einfach wahnsinnig Spaß gemacht, dir zuzuhören. Also im Prinzip befasst du dich mit dem, was ist und was noch kommt, also mit diesen Zukunftsvisionen, mit, du nennst es Biodigital Imaginaries. Warum ist das so wichtig für dich?
00:33:39: Veronica Ranner Ja gut, das hat sich einfach aus der Praxis heraus zu ergeben. Natürlich, wenn man sich mit Spekulation oder mit der Tätigkeit der Zukunftsforschung befasst, geht man ja hauptsächlich erst mal von sich selbst aus. Dann, was mich natürlich immer weitergehender fasziniert hat und interessiert hat, ist, wie andere Leute, sage ich mal, unter Umständen diese Zukünfte auffassen, verstehen können und welche Faktoren da einfließen und auch die Sichtbarkeit und Hörbarkeit verschiedener Ansichten und welche quasi zum Zug kommen, gesehen werden, gehören werden und welche Faktoren das beeinflussen oder verhindern. Und mir ist eben aufgefallen, dass der Prozess der professionellen Spekulation oder des Future-Making doch sehr eingeschränkt und in sehr eng gefassten Rahmen stattfindet, entweder in Research and Development Departments, innerhalb von wissenschaftlichen Laboren oder an Universitäten. Und die Schranken des Zugangs sind doch sehr hoch und unter Umständen nimmt man sich da einfach die Möglichkeit, die Dinge auch mal anders zu betrachten und andere Sichtweisen umfassend mit einzubeziehen. Das ist natürlich auch quasi eine soziokulturelle und politische Dimension, die mich da quasi weitergehend interessiert hat. Und die Möglichkeit, wie man Design auch verwenden kann, um solche Möglichkeitensrahmen aufzustoßen und aufzuweiten, um diese Zukunftsmacherei zu diversifizieren und auch zu bereichern.
00:35:17: Arno Görgen Kann man sagen, das ist eine designfokussierte Form des Technology Assessments?
00:35:23: Veronica Ranner Das ist auch interessant. Natürlich den Begriff der «Technologiefolgenabschätzung» im Deutschen oder das Technology Assessment hat sich natürlich mir auch ergeben. Oder, sage ich mal, Pathway Dependence Creation. Da gibt es verschiedene Ausformungen und, sage ich mal, Praktiken, die da durchaus artverwandt sind. Das hat sich mir natürlich auch ergeben, kann man durchaus so formulieren für Menschen, die sich jetzt, sage ich mal, mehr mit dieser Praxis befassen. Ich möchte aber schon noch hinzufügen, dass die Designkomponente da auch noch entscheidende weitere Faktoren mit einbezieht, die dann eben auch das haptische, taktile, das Embodiment quasi noch mit umfassen, was beim reinen Technology Assessment leider immer so ein bisschen außenvor fällt und auch immer etwas in der Experten Domain verbleibt. Daher bin ich der Meinung, dass jetzt eine polyphonische Herangehensweise das eben noch mal weiter aufstößt und das Ganze transdisziplinärer und weiter umfasst.
00:36:29: Arno Görgen Polyphon heißt das dann letztlich, also Mehrstimmigkeit, heißt das dann letztlich ein Hands-on-Approach, bei dem man die Leute direkt zur Materie bringt?
00:36:39: Veronica Ranner Ja, durchaus. Ich habe ja quasi eine Schnittstelle hergestellt, die es so in der Form nicht unbedingt gibt. Ich habe mir die Freiheit genommen, in dem Labor zu lernen, wie die verschiedenen Aggregatszustände der Seite quasi abfolgen und welche Sinneseindrücke dadurch entstehen. Nun ist es ja so, dass diese Materialen alle sehr teuer sind, auch teilweise Chemikalien involviert sind. Man hat eben eine hohe Zugangsschwelle zu diesem Erlebnis, zu dieser Experience, die jetzt der Normalmensch in der Form nicht genießen kann und dadurch auch vielleicht eine eingeschränktere Vorstellung davon hat, was möglich ist. Der Möglichkeitenrahmen der Vorstellung ist eingeschränkter, weil eben der Zugang fehlt. Jetzt kann ich natürlich schlecht diese Materialen nehmen und den Leuten komplett umfänglich zugänglich machen, weil das geht ja aus verschiedensten Gründen nicht. Da hat das Labor natürlich auch Intellectual Property-Gedanken. Da sind auch rechtliche Rahmen, also Sicherheitsrahmen, die da das beschränken. Und wenn ich jetzt eine Übersetzung mache in Material-Experimente, die dir die gleichen Sinneseindrücke vermitteln und Prozesse, die man selbst einfach nachvollziehen kann und fast schon wie in der Art Kochrezept, folgen kann, bin ich der Meinung, ich habe das versucht, so maßstabgeteu wie möglich abzubilden. Das sind dann einfach relativ simple Biomaterialien, die da die dann zum Zuge kommen, die günstig sind und ungefährlich sind, die dann Leute quasi verwenden können, die aber gleichen Sinneseindrücke und die gleiche Haptik und Funktionen quasi vermitteln. Und die Idee dahinter war, das Ganze eben Leute selbst machen zu lassen, ohne denen jetzt große Vorschriften zu machen oder das jetzt nur textuell zu machen oder mit Powerpoint-Slide, sondern wirklich einen experimentellen und experimentiellen Rahmen zu schaffen, in dem selbst ausprobiert werden kann, um dann eben etwas spielerischer und vielleicht jetzt weniger instructional das Ganze dann geschehen zu lassen, auch in der Interaktion der Leute miteinander. Es wird dann eigentlich nur der Rahmen gegeben und leichte Impulse gesetzt und die Materialien zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig wird dann aber auch geschaut, was passiert dann in diesem gesteckten Rahmen mit den Leuten und wie regt die das Ganze dann quasi an, um selber Assoziationen zu kreieren?
00:39:23: Arno Görgen Wir haben ja in dieser Staffel Design. Macht. Gesellschaft. diesen Schwerpunkt Designethik und du hast auch relativ oft die Ethik angesprochen, ohne sie jetzt im Rahmen dieses Vortrags zumindest ausführen zu können. Inwiefern oder wie schaffst du es, solche Denkprozesse anzustoßen mit diesem Approach?
00:39:41: Veronica Ranner Das sind ganz interessante Fragen hier, weil natürlich man kann jetzt auch einfach sagen: «Lasst uns mal über Ethik sprechen.» Und das wird dann immer sehr verkrampft und Leute, diese Direktheit ist manchmal gut, manchmal kann sie auch Anstöße hervorbringen. Meines Erachtens ergibt sich das aber eigentlich aus der Materie an sich. Wenn das Material quasi vermittelt, es kann quasi die körperlichen Grenzen aufweichen, kommen Menschen automatisch ins Denken und stellen eine Bezugsebene zu ihrem eigenen Körper und zu ihrer eigenen Erfahrung her. Und dieser Bezugsrahmen zu sich selbst und zu der eigenen körperlichen Erfahrung und dann eben auch das Begreifen und durch Anfassen und Erleben, stößt aus meiner Sicht diese Prozesse fast schon eigenständig an, weil Leute automatisch denken, diese Möglichkeiten des Materials sind ja regelrecht fantastisch. Was würde ich damit machen? Ich rege natürlich auch narrative Prozesse an, indem ich zum Beispiel sage, es werden Storys oder Narrative verfasst und ich mache das auch mithilfe eines Proxys damit quasi … Leute schreiben meistens dann doch über sich selbst in ihren eigenen Erfahrungsrammen, weil sie auf sich selbst zurückfallen, aber sie können das dann mithilfe eines Proxys etwas verfremden, damit es dann eben nicht zu persönlich wird, um, vielleicht gewollt oder nicht gewollt, dann quasi ihre eigene Perspektive etwas unklar nach vorne bringen zu können, ohne dass sie sich selbst in die Schusslinie setzen müssen. Das ergibt einen interessanten, eine Möglichkeit der Ambiguität, die hilfreich ist, wenn man auch besonders über kritische Themen sprechen möchte, weil man kann das mit Hilfe sagen: «Das ist ein fiktionaler Charakter. Der hat eventuell mit mir etwas zu tun oder auch nicht.» Das bleibt dann offen und dadurch ergibt sich eine interessante Nähe und Distanz, die dann gleichzeitig spannend wirkt. Es gibt eine Art Sprachrohr.
00:41:38: Arno Görgen Vielleicht als letzte Frage: Schaffst du es auch mit dem Polyphonen vor den direkt bei denen anzudocken, beziehungsweise ins Gespräch mit denen zu kommen, die auch solche Technologien entwickeln? Oder ist das eher im vorpraktischen Feld, wo diese Diskussionen und Debatten geführt wurden?
00:42:03: Veronica Ranner Das ist ein ganz interessanter Punkt, weil gerade eben diese Frage habe ich mir auch gestellt. Man kann natürlich sagen, ich nehme jetzt die Wissenschaft und die Erkenntnisse oder Erlebnisse, Eindrücke, die ich da gesammelt habe und trage die dann in andere Kontexte und beziehe da Leute mit ein. Aber es sind dann die wirklichen, sage ich mal, Wissenschaftler, die diese Technik und diese Richtung auch vorwärts treiben, sind die in dem ethischen Diskurs mit einbezogen. Da sind verschiedene Faktoren, die das beeinflussen oder auch erschweren. Ganz praktisch natürlich auch zeitliche und finanzielle Abläufe, Funding. Sehr oft sind diese ethischen Bedenken durchaus vorhanden bei den Wissenschaftlern, aber es gibt keinerlei Outlets oder Möglichkeiten, die so hervorzutragen, dass es nicht negative politische Verflechtungen gibt und auch tatsächlich ganz konkrete Nachteile durch kritische Beiträge. Dort ist dann eben sehr gut, wenn man eben einen, ich sage jetzt mal verwobenen Ansatz angeht. Man nimmt zum Beispiel das Feedback, das ich in anderem Kontext gesammelt habe und präsentiere das dann und holt weiteres Feedback ein, weil dann ist es ja nur Feedback, dass sie für andere Leute geben. Man muss ein bisschen seitwärts vorgehen, dass man Leute nicht direkt befragt und gleichzeitig auch beachten, ihnen auch die Möglichkeit zu geben, fiktional zu bleiben. Weil ich habe zum Beispiel eine Sache gemacht: Ich habe in dem Prozess Namen und Particulus, also quasi die Signifier, die eine Person erkenntlich machen, verfremdet. Ich habe zum Beispiel Namen, Beruf, Alter. Dadurch bin ich quasi in Erscheinung getreten als Designerin und habe zum Beispiel diese Illustrationen gemacht, diese Ideen quasi zu verflachen, nicht im Sinne von Autorenschaft, die bleibt erhalten, aber um Leute aus dem Schussfeld zu nehmen, dass man sich rein auf die Idee konzentrieren kann und nur die Idee diskutiert und nicht jetzt zum Beispiel: Ist diese Idee wertvoll, weil sie von Professor XY kommt? Oder ist diese Idee weniger wertvoll, weil sie jetzt von jemanden kommt, der vielleicht nicht das fachliche Wissen hat, aber die Idee ist an sich trotzdem wertvoll? Also das habe ich gemerkt sagt, dass da diese Pseudonymität unter Umständen da sehr sinnvoll ist und da auch diese spielerische Komponente hervorbringt, ohne Leute, sage ich jetzt mal, an den Pranger zu stellen. Das ist eben eine ganz wichtige Sache. Manche Leute nennen das Third Space, da bin ich etwas vorsichtig, so weit zu gehen, aber definitiv, ich sage jetzt mal fast schon parasitäre nomadische Ansätze, die dann quasi die zwischen den verschiedenen Kontexten hin-und herlupen. So sehe ich eigentlich eher das Polyphonic Futures.
00:45:08: Arno Görgen Ja, super interessant. Ich persönlich könnte mich jetzt noch Stunden mit dir unterhalten, aber wir müssen zurück zur Tagung. Dafür gibt es nämlich gleich eine Buchvorstellung ohne Buch, wie ich gehört habe. Das würde ich schon noch gerne mitbekommen. Vielen Dank, dass du bei uns warst.
00:45:27: Veronica Ranner Vielen Dank auch.
00:45:42: Arno Görgen Jetzt haben wir hier schon die nächsten Gäste aus der Nerd-Conference bei uns. Das sind Luz Christoffer-Seiberth und Robert Fehse. Beide, glaube ich, aus Berlin, oder? Und mit Luz Christoffer-Seiberth haben wir einen Philosophen hier und dem Robert Fehse einen Produktdesigner, wenn ich das richtig gesehen habe. Wie kommt es denn zu der Kombination?
00:46:10: Robert Fehse Zum einen kennen wir uns privat und in diesem Rahmen ist irgendwann mal ein Gespräch über die Themen entstanden, an denen wir jetzt schon länger, weiter im Gespräch sind. Also insofern ein ganz organisch gewachsenes zusammen Nachdenken.
00:46:28: Arno Görgen Und ihr denkt, wir sind ja bei einer Design-Tagung über Design nach. Der Titel eures Talks ist «No Recipes for Design Reference Resolution and the Metaphysics of Design Objects.» Man wird ja erst mal als sage ich mal, Philosophie-Laie – ich bin ja Historiker – schon ein bisschen überwältigt von der Tragweite dieses Titels. Können wir den mal ein bisschen auseinandernehmen und darauf eingehen, was ihr denn genau in eurem Talk vorhabt zu berühren.
00:47:05: Robert Fehse Zumindest der erste Teil deutet ja schon mal an, dass wir glauben, dass es für Design keine Rezepte gibt oder geben kann. Und diesen Gedanken etwas ausführlicher zu plausibilisieren, holen wir morgen dann etwas weiter aus.
00:47:19: Arno Görgen Also keine Rezepte für Design heißt, es gibt nicht den einen Weg, Design zu machen, oder meint ihr damit, das Endprodukt?
00:47:30: Robert Fehse Sowohl als auch.
00:47:32: Arno Görgen Was ist mit Reference Resolution gemeint? Das ist tatsächlich ein Begriff, über den ich jetzt persönlich so ein bisschen gestolpert bin, weil ich ihn einfach nicht kenne. Kannst du mich da ein bisschen erleuchten.
00:47:47: Luz Christoffer-Seiberth Die Zurückweisung von Recipes kann sich ja an unterschiedliche Gegenstände oder Tätigkeiten richten und auch Teilabschnitte innerhalb des Entstehens von Designobjekten und aber auch auf Teilabschnitte im Entstehen von Elementen, die dann benutzt werden, Theorien daraus zu basteln. Und in der Bemühung, bestimmte Aspekte an Gegenständen zu fassen zu kriegen, kann man auch die Metapher der Resolution benutzen. Und das ist vergleichbar mit dem Heranzoomen oder Wegtreten an Bildern und von Bildern, der Art, dass die, ich sage mal, in den Blicknahme von Aspekten theoriefähig ist. Wir können über Aspekte nachdenken und wir können über die Theorien nachdenken, in denen wir grundlegend versuchen, darzulegen, was es mit diesen Aspekten auf sich hat. Anders gesagt, jede Designtheorie trägt mit sich eine gewisse metaphysische Konzeption davon, was Gegenstände sind und was ihre Bestandteile sind. Wenn man die gerne genauer in den Blick nehmen möchte, braucht man Theorie. Und wir haben den Begriff der Referenzresolution gewählt, weil Referenz das Titelwort ist, um zu bezeichnen, dass man in einer Bewegung der Bezugnahme versucht, dahin zu langen, dahin zu kommen. Und da lassen sich schon mal theoretisch unterscheiden der Akt der Bemühung, diese Bezugnahme erfolgreich sein zu lassen und das, was dann am Ende dieser Bemühung der Bezugnahme liegt. Das ist so wie die Pfeil-und Bogenschießen. Der fliegende Pfeil ist die Bemühung der Bezugnahme, das, was man dann damit trifft und wie man es trifft und wie man das konzeptualisiert, das wäre dann der Referent. Und in der gegenwärtigen Theoriebildung zur Auseinandersetzung mit den Facetten möglicher Referenzpunkte in künstlicher Intelligenz ist das ein Schlagwort »Reference Resolution.» Das können wir für Prompts formulieren, derart, dass wir die KI ausrichten können auf bestimmte Bezugspunkte. Das ist als theoretische Bemühung relativ gut übertragbar auf die gestalterische Tätigkeit, einzelne Aspekte in den Gegenstand hinein zu gestalten beziehungsweise die Aspektwahrnehmung auf Seite der Konsumenten und Beobachter und Nutzer auch verlässlich bewirken zu können.
00:50:30: Arno Görgen Indem ihr das macht, konzeptualisiert ihr Design eigentlich auch als diskursives, als gesellschaftliches Werkzeug, vielleicht auch als Wissensmedium? Kann man das so sagen?
00:50:44: Luz Christoffer-Seiberth Es gibt ja unterschiedliche Anläufe, aber vielleicht noch mal den Hintergrund unserer Begegnung und auch die Grundlage unserer Art, miteinander zu sprechen, zu thematisieren. In dem Gespräch, was wir jetzt schon lange mit Gewinn führen, stand relativ schnell fest, dass der Gegenstand, Argument und Theorie sehr unterschiedlich aus beiden Disziplinen auf Objekte bezogen werden können soll. Anders gesagt, in der Philosophie beispielsweise gibt es Beschreibungen guter Theorien, dass wir sagen, als Prädikate sagen wir, die Theorie ist gelungen, wenn sie elegant ist, wenn sie schlicht ist, wenn sie diese eine Eigenschaften hat diese spezielle Eigenschaft, auch Schönheit beispielsweise. Und jetzt setzen sich Theorien aber insbesondere da, wo sie überzeugen können, aus Argumenten zusammen. Und auf Argumente zu reflektieren war für uns dann auch Anlass, überhaupt weiter im Gespräch zu stehen. Wenn du magst, kannst du ja auch …
00:51:51: Robert Fehse Wenn nicht zuletzt heißt die Firma, die ich gegründet habe, auch Argument, weil da auch ein gewisses Selbstverständnis ist, leitend wahr zu sagen: „Wie fallen eigentlich Theorie und Praxis in Gestaltung zusammen? Und wie kann man sowohl Gestaltung als Prozess und Gestaltungserzeugnisse, Designgegenstände, vielleicht durch diese Brille anders sehen oder begreifen.
00:52:19: Arno Görgen Kannst du das mal am Beispiel festmachen? Zum Beispiel, wenn du jetzt hier diesen Ansatz der Reference Resolution wählen würdest, wie würdest du da mal ganz praktisch vorgehen?
00:52:32: Luz Christoffer-Seiberth Wir brauchen auf jeden Fall eine Unterscheidung erst mal.
00:52:36: Robert Fehse Das ist ja auch ein bisschen, was wir morgen irgendwie als Leitfaden denken. Also wenn man sich darum bemühen würde, zu sagen, Was erfassen wir alles, wenn wir einen Gegenstand sehen? Dann würde man sagen, er hat vielleicht ein Material, er hat eine Ausformung, eine Dimension, eine Farbe. Und diese ganzen Qualitäten eines Gegenstandes nennen wir in einer Unterscheidung, die wichtig ist als Grundlage für unser späteres Argument, seine Eigenschaften. Wir würden aber wahrscheinlich auch alle gemeinsam schnell feststellen, dass wenn man seine bloßen Eigenschaften beschreibt, noch nicht alles gesagt ist, was man zu einem Gegenstand sagen kann. Beispielsweise sieht er vielleicht aus wie ein ähnlicher Gegenstand oder erinnert mich an die italienische Postmoderne oder erinnert mich an meine Oma. Und diese etwas stärker von der subjektiven Perspektive abhängigen Elemente, die man einem Gegenstand zuschreiben würde, nennen wir Aspekte. Also Gegenstände sind sowohl konstituiert aus Eigenschaften und darüber hinaus aus Aspekten.
00:53:45: Luz Christoffer-Seiberth An der Stelle ist es nicht falsch zuzuordnen, dass Eigenschaften einigermaßen nachvollziehbar tatsächlich am Gegenstand auch ausgewiesen werden können, sozusagen außerhalb der Repräsentation existieren und Aspekte aber komischerweise erst mal nur innerhalb von Repräsentationen. Das hilft als Zuordnung, um entlang dieser Bestimmung über den Ort der Existenz zu verstehen, warum die Differenzierung dieser beiden Qualitätenklassen wichtig ist?
00:54:19: Robert Fehse Beispielsweise können wir seine Masse und seine Dimension messen und uns darüber schnell einig werden. Wiegt 3,5 Kilo, ist 40 Zentimeter lang. Aber ein schönes Beispiel beispielsweise von Aspekten, die schon schwerer zu greifen sind, ist, wenn wir sagen, ein Gegenstand ist elegant. Man wird kaum mit dem Finger auf irgendein Element eines Gegenstands sein können und da lässt sich in Eleganz verorten. Was ist es dann also? Eigentlich ist Eleganz etwas, was wir am Gegenstand suchen, auch an ihm irgendwie meinen zu erfahren, aber nicht irgendwo an ihm verorten können. Wenn man dann versuchen würde zu sagen: «Okay, wie ließe sich das Prinzip der Eleganz denn unabhängig vom Gegenstand konzeptualisieren?» Um dieses Konzept dann im Abgleich mit dem Gegenstand zu denken, merkt man, das scheitert auch. Irgendwie sind wir angewiesen auf konkrete Beispiele aus der Designwelt, um Eleganz zu markieren. Wenn Sie Ihrem Kind erklären wollen, was Eleganz ist, werden Sie wahrscheinlich auf Beispiele, die Sie als elegant empfinden, zurückgreifen. Also ist Eleganz etwas, was einerseits den Gegenständen zufallen soll andererseits aber auch erst an ihm als Prinzip entsteht oder seine Konkretion erfährt. Und diese eben intersubjektiv nicht stabile Kategorie der Aspekte kann man auch noch im Subjekt in seiner Instabilität verorten. Beispielsweise kennen alle das Phänomen, dass Dinge uns heute ganz gut gefallen, morgen nicht mehr so sehr. Alle modisch-volatilen Zuschreibungen sind ja doch sehr dynamisch über die Zeit etwas ist heute in und morgen aus genau den gleichen Gründen out.
00:56:05: Luz Christoffer-Seiberth Und zugrund liegt trotzdem dieselbe Eigenschaftenkonfiguration?
00:56:10: Robert Fehse Die Eigenschaften des Gegenstandes, der heute als in empfunden wird, sind die gleichen wie morgen, wenn er als Out empfunden wird. Und dann kann der Kreis sich sogar schließen. Die etwas älteren Menschen werden erlebt haben, dass manche Dinge dann über die Zeit wieder in werden, bei immer noch gleicher Eigenschaftskonfiguration.
00:56:30: Luz Christoffer-Seiberth Okay, und daran ist es auf jeden Fall wichtig, aus philosophischer Perspektive, dass das Verhältnis von Anschauung und Begriff, also von der Überformung meines Wahrnehmungsvorgangs, durch Begriffe auf der einen Seite, aber auch informiert werden meiner begrifflichen Vorstellung durch die Wahrnehmungsinhalte, dass diese Wechselwirkungen, diese Beziehungen, die brauchen Namen, die ist theoriefähig, könnte man sagen. Und ich arbeite in der Argumentationstheorie und in der Logik und bin deshalb sofort geneigt, an der Stelle zu sagen, es gibt induktive und deduktive Verfahren, die wiederum stehen auf interessante Weise zum Verhältnis Instanz und Universale. Ja, dass man sagen kann, wir erfassen die Inhalte von Begriffen entlang einzelner Vorkommnisse, aber gelingende gestalterische Leistungen können auch zurückstrahlen auf die Art und Weise, wie wir den Begriff insgesamt denken, also nicht zuletzt das Telefon. Mediengeschichtlich gibt es viele Begriffe, die extrem erweitert worden sind durch gestalterische Handlungen oder wir würden sagen, gestalterische, gelungene Argumentationsvorgänge, die für andere anschlussfähig gewesen sind. Ja, dass sich die Intention des Begriffs mit «S» durch andere und neuere extensionen begonnen zu verändern. Und wenn man darüber versucht, Klarheit zu gewinnen, dann muss man eigentlich noch Schritte weitergehen.
00:58:06: Robert Fehse Also wenn ich als Gestalter mich frage: «Ich habe die Absicht, einen Stuhl zu gestalten» dann ist dieses Vorhaben natürlich erst mal informiert von der Kategorie Stuhl, wie sie bisher existiert und all seinen Ausprägungen. All das, was wir in irgendeiner Form der kulturellen Übereinkunft sagen, das markiert die Kategorie Stühle. Trotz dessen das leitend ist, kann ich natürlich spekulativ in Beziehung dazu einen einzelnen Entwurf machen, der genau diese Kategorie und damit auch das, was sie fassen soll, erweitert, hinterfragt und überwindet im Zweifelsfall sogar. Und so ist quasi die Extension der Kategorie Stuhl durch meinen neuen Entwurf erweitert worden und strahlt zurück auf die Intention. Was alles ein Stuhl ist, ist dann eine neue Instanz Stuhl erweitert.
00:58:59: Luz Christoffer-Seiberth Das bedeutet aber auch, dass wir Designgegenstände eigentlich dreimal denken müssen als Objekt, als Begriff, durch den wir dieses Objekt identifizieren und dann als Produktkategorie innerhalb derer wir bestimmte Begriffe selber wiederum sortieren oder ordnen.
00:59:17: Robert Fehse Und dann einen zweiten Begriff unseres Titels reinzunehmen, wenn man sich fragt: «Was ist denn eigentlich ein Rezept?» Dann würde man sagen, ein Rezept versucht in der Regel durch relativ präzise Aufführungen von Bestandteilen oder Ingredienzen und einer genauso präzisen Beschreibung eines Prozesses, wie mit denen umzugehen, ist, ein möglichst stabiles Resultat wiederholt genau sicherzustellen. Also ich kann Ihnen ein kulinarisches Rezept so präzise beschreiben, dass die Kremigkeit der Carbonara irgendwie klar umrissen ist. Oder medizinische Produkte werden wirklich genormt, so stabil beschrieben in ihrer Zusammensetzung und auch in dem, was im Resultat da sein soll, dass ich mich per Rezepten wiederholt an dieses Ergebnis annähern kann oder das sicherstellen kann.
01:00:05: Arno Görgen Könnte ich dann aber auch jetzt ganz ketzerisch sagen, dass auch dieser Ansatz der Reference Resolution – und ich fand eure Ausführungen wirklich sehr erleuchtend und sinnmachend – in sich selbst schon wieder ein Rezept ist?
01:00:23: Luz Christoffer-Seiberth Diese sogenannte Selbstreferenzalität ist in der Reflexion auf soziologische Theorie als Beobachtung zweiter Stufe vorgeschlagen worden und ich bin ein großer Fan selbstreferenzialitätsprüfender Einwände. Und an der Stelle ist der Versuch von uns bescheidener angelegt. Insofern wir erst mal nur darauf zielen, einzelne Theorieelemente über Entscheidungen zu entwickeln, dann zu gucken, welche Gegenstandsbereiche und welche, ich sage mal, intellektuellen Tätigkeiten lassen sich dadurch modellieren und ausdrücken. Bestenfalls geht das damit einher, dass die Konzeption sich erweitert und verändert. Das ist vergleichbar mit der Edition eines philosophischen Werkes, für die wir sagen würden, eine gute Edition, die ist gut, wenn die sich verändert. Wenn Leute sagen: „Nein, jetzt mal Zeit für eine neue Edition, wenn die nie angefasst wird, dann können die Leute die nicht benutzen. Insofern ist der theoretische Entwurf, den wir damit vorlegen, auch gar nicht auf Referenzresolution hin kapriziert, sondern das ist ein Element, mit dem wir zeigen, dass es Anschlussfähigkeit gibt in diesen Linked Data und Computational Literacy Diskurs hinein?
01:01:46: Arno Görgen Letzte Frage vielleicht. Wenn wir jetzt über Linked Data sprechen und Digitalisierung von Wissenskategorien, ist vielleicht auch ein Problem, Problem, dass letztlich, also sowohl auf der Seite des Maschinenlernens, aber auch generell, die Selbstreferenzialität letztlich immer an einem Punkt zu beschränkt bleibt, ich würde jetzt nicht sagen, absolut, aber ausreichend zu werden für das Design zum Beispiel, was dann genau die Ziele erreichen soll, die einem dann vorgegeben wurden, meistens von einem Auftraggeber oder Ähnlichem.
01:02:31: Robert Fehse Aber da kommt dann unsere wichtige begriffliche Unterscheidung zum Tragen. In der Regel wünschen sich Auftraggeber ein Resultat, wo in dem Briefing nicht klar unterschieden wird, was ist eigentlich Eigenschaft und was ist Aspekt und insofern, was ist stabil, kontrollierbar und was ist instabil, weniger oder gar nicht kontrollierbar. Zu glauben, dass ich als Gestalter in meiner Formgebung oder Eigenschaftskonfiguration einen so abstrakten Aspekt wie Eleganz wirklich herbeigesteigen könnte und dabei unterschlage, dass das mit komplexeren Zuschreibungsprozessen und eben intersubjektiv nicht stabil eigentlich erst zustande kommen kann, ist vielleicht vorsichtig gesagt etwas naiv und wäre gewagt, dass einem Kunden zu garantieren. Und mit dieser Unterscheidung ist vielleicht auch mit der gerade vorangestellten Definition davon, wie wir glauben, dass Rezepte verstanden werden müssen, eben unsere Überzeugung, dass Rezepturen in ihrer Stabilität oder ihrem Stabilitätsversprechen eben kein Beschreibungsprinzip sind für Gestaltungsprozesse, geschweige denn für deren Ergebnisse.
01:03:41: Arno Görgen Letzte Frage vielleicht noch an dich, Robert: Ist man denn als Gestalter grundsätzlich dann zum Scheitern verurteilt?
01:03:48: Robert Fehse Woran sich dann das Scheitern bemisst, hat doch sehr mit der Absicht und den Erwartungen zu tun, die man sich selber und der Außenwelt gibt.
01:03:56: Arno Görgen Die Frage ist natürlich ein bisschen zugespitzt formuliert, aber …
01:04:00: Robert Fehse Na ja, auch da. Wenn ich am Anfang eine Zielstellung habe und die nicht erreiche, dann könnte ich scheitern. Wenn ich Gestalten aber als einen Prozess begreife, der seine Zielstellung im laufenden Verfahren auch noch mal reformulieren kann, dann wird diese Frage etwas schwieriger zu beantworten, zumindest schon mal. Oder in dem Sinne kann ich dann vielleicht auch nicht scheitern, wenn ich eine für mich erreichbare Zielformulierung im Weg entwickle.
01:04:28: Arno Görgen Ja, mit diesem doch leicht hoffnungsvollen Ausblick danke ich euch erst mal für eure Zeit und habe mich sehr gefreut und mir sehr, sehr viel Denkstoff gegeben, über den ich wahrscheinlich auch heute Nacht noch wach mit leuchtenden Augen im Bett liegen und nachdenken werde. Also vielen Dank dafür.
01:04:46: Robert Fehse Ganz gerne.
01:04:47: Luz Christoffer-Seiberth Schön, hier zu sein.
01:04:58: Eliane Gerber Willkommen zurück, ja Arno, da hast du uns ja einen Einblick in sehr verschiedene Themen und Ansätze mitgebracht. Wie war denn die Tagung für dich?
01:05:09: Arno Görgen Man muss zum einen sagen, ich war ja nur einen Tag da, weil ich gleich am … Also es war eine zweitägige Konferenz und ich musste am zweiten Tag zu einer anderen Tagung, wo ich auch tatsächlich einen Vortrag halten musste. Also es war ein bisschen ungünstig, was wir aber im Vorfeld von der Planung, das ging einfach dann nicht anders. Deswegen war es sehr schade, dass ich den zweiten Tag verpasst habe, auch weil der erste Tag, gerade weil er so unglaublich vielfältig war, natürlich auch extrem spannend war. Es waren unterschiedlichste Leute da. Ich meine, man hat hier schon gehört, das waren auch sehr, sehr diverse Beiträge und es gab ja schon diesen einen Ankerpunkt der Methoden, der experimentellen Methoden, und das hat eigentlich ganz gut funktioniert. Ich habe mich nur öfter gefragt, ob dieses Format, das wir jetzt hier gewagt haben, tatsächlich funktioniert, weil ich auch dadurch relativ viel von der Tagung dann auch nicht mitbekommen habe. Ich würde sagen, von dem ersten Tag habe ich vielleicht zwei Drittel der Tagung gehört, das andere ging dann tatsächlich mit dem Gesprächen drauf. Und das ist dann so ein bisschen schade, einfach weil man ja auch weiß, man verpasst Sachen, die sehr gut vorbereitet waren von wirklich guten Leuten. Und das ist so ein bisschen, wo ich auch im Nachhinein so ein bisschen mit hadere, ob man es wirklich wiederholen sollte. Einerseits ja, weil eben so tolle Gespräche wie die, die wir jetzt gehört haben, rauskommen, andererseits … Und da gräbt es zumindest für den, der bei der Tagung ist, so ein bisschen den Zweck einer Tagung, nämlich möglichst viel mitzubekommen.
01:06:51: Eliane Gerber Ja, und dazu könnt ihr uns gerne auch Feedback geben, ob ihr gerne weitere solche Tagungsbesuche, Tagungsreports hören wollt. Für mich, ich habe jetzt zum ersten Mal gehört diese Gespräche und ich fand es sehr bereichernd, diesen Einblick auch in die Tagung zu bekommen von dir. Vielleicht noch eine Frage: Wie oft warst du schon an Designforschungstagungen?
01:07:18: Arno Görgen Ich glaube, das war meine zweite oder dritte. Ich bin ja meistens bei Game Studies-Tagungen oder historischen Tagungen oder Ähnlichem.
01:07:27: Eliane Gerber Genau. Gibt es da wie Dinge, die dir auffallen, die sich stark unterscheiden jetzt zu den Design-Tagungen? Oder würdest du sagen, das ist in allen Feldern sehr ähnlich?
01:07:39: Arno Görgen Also ich glaube, das mag hier aber auch wirklich an der NERD beziehungsweise an diesem besonderen Format liegen, nämlich dass das Experimentelle so im Zentrum steht. Ich hatte schon den Eindruck, dass alles sehr hands-on orientiert ist. Vielleicht ist das aber auch was Design-spezifisches, weil eben: Ha ha, Design, Entwerfen, machen und so weiter.
01:08:05: Eliane Gerber Von den den Designtagungen, wo ich war, war das eigentlich immer auch ein Aspekt, der Teil davon war.
01:08:12: Arno Görgen Ich meine, du kennst mich ja. Ich bin manchmal ein bisschen verkopfter und hätte mir manchmal ein bisschen mehr Theorie, glaube ich, gewünscht, was aber, glaube ich, eine reine, erstens Geschmacksfrage ist und zweitens auch Gewöhnungssache. Also wenn du sagst, es ist bei allen Tagungen so im Designbereich oder bei vielen. Das kann ich mir sehr gut vorstellen und ja, vielleicht müsste ich mich da selber eher so drauf einstellen. Also das war jetzt überhaupt kein Problem und wie gesagt, ich fand es wirklich eine schöne Tagung. Es waren wirklich nette Leute da. Auch das Organisationsteam hat uns extrem toll unterstützt. Ich hätte mir … Vielleicht habe ich … Also ich glaube, es ist eher ein Problem, das ich habe, nämlich dass ich mir so eine Tagung wie so ein Buch wünsche, in dem man einen klaren Aufbau hat, wo dann wirklich hier steht: «Okay, das ist die Methode. So haben wir es gemacht. Das kam dabei raus. Das könnte man auch ändern oder so.» Und das ist natürlich bei einer Tagung ein bisschen anders. Ich glaube, da muss ich mir selber auf die Finger klopfen.
01:09:24: Eliane Gerber Ja, ich glaube, gerade im Design und ich glaube, das ist aber auch in anderen sehr anwendungsorientierten Fachbereichen ist es zumindest denkbar und wird dann auch immer mal wieder gemacht, von diesen eher etablierten Formaten auch ein bisschen abzuweichen und was anderes auszuprobieren.
01:09:43: Arno Görgen Was natürlich ganz toll ist bei so einer Tagung und warum man es vielleicht auch besonders macht, außer dass man möglichst viele tolle Themen hören möchte, ist Vernetzung. Darf man auch nicht vergessen, dass das meistens vielleicht sogar der Hauptgrund ist. Und da muss ich auch sagen, das hat echt Spaß gemacht. Ich bin ja als wirklich völlig Unbekannter. Ich komme ja eben aus einem anderen Feld. Das werde ich ja nicht müde zu betonen, auch wenn ich mittlerweile seit 2018 Design Research mit Games mache. Aber natürlich kannte mich da niemand und ich kam mir sehr gut aufgehoben vor. Also a) das Organisationsteam war extrem entgegenkommend und freundlich, b) auch die Leute, mit denen ich gesprochen habe, sind ganz tolle Typen. Die hatten wir ja auch teilweise schon bei uns an der HKB und ich kann mir da auch vorstellen, dass man die dann noch mal kontaktiert und irgendwie was zusammen macht oder so. Also das ist ja das, warum Tagungen auch so wichtig sind, um solche Denkprozesse, aber eben auch Forschungsprozesse dann anzustoßen.
01:10:49: Eliane Gerber Ja, und damit bleibt mir nur noch übrig, mich ganz, ganz herzlich zu bedanken bei all den Personen, die eben sich zur Verfügung gestellt haben, mit uns zu sprechen und ein ganz herzliches Dankeschön an die Organisation der NERD, die uns eben so wohlwollend und zuvorkommend unterstützt haben bei der Produktion dieser Folge. Und ihr, liebe Zuhörerinnen, findet wie jedes Mal die wichtigsten Hinweise und Quellen zu dieser Folge in den Show Notes. Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann lasst uns das gerne wissen. Wir freuen uns über jedes Feedback. Ja, und dann hören wir uns in ungefähr vier Wochen wieder. Bis dahin eine gute Vorweihnachtszeit und bis bald.
01:11:34: Arno Görgen Und eine schöne Weihnachts- und Festtags- und was immer ihr da treibt Zeit. Macht’s gut, bleibt gesund, es ist ja Winter und kalt und nass und passt auf euch auf. Wie sagt man in der Disco in der Eifel immer: «Passt doch, ob der Straße das geladet» Tschüss.
01:11:52: Eliane Gerber Tschüss.
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